Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
den Teller» und sagte auf dessen peinliches «Das darf ich nicht, das tut man nicht»: «Wieso, essen Sie zu Hause auch so?» Dazwischen ging es im Galopp von Menzels Zeichnungen über seine Lesetournee durch 52 – ZWEIUNDFÜNFZIG!! – Städte und die Apanagen für 2 geschiedene Frauen (2 Basler Stadthäuser, ca. 5000 DM monatlich each und die nach wie vor «geldschluckenden» drei Söhne) zu einer Golo-Mann-Anekdote; der habe als junger Mann einen schönen Lover aufgegriffen, mit einem Freund zusammen mit nach Hause genommen, wo prompt die beiden zusammen ins Bett gingen – und zwar ins Bett von Thomas Mann! Der Gekränkte, Verschmähte habe nur noch sagen können: «Macht aber keine Flecken.»
Mitte Dezember
Der ganze Unterschied zwischen jüdischem Scharfsinn und deutsch-tiefsinnigem Bla-Bla in 2 Zitaten:
«Michelangelo hat aus dem Marmor den herrlichen David gehauen – aber in rein bildhauerischem Sinn ist dieses Werk unbedeutend. In ihm steckt die Schönheit des Jünglings, aber durchaus nicht die Schönheit der Skulptur.»
Kasimir Malewitsch
«Michelangelo ist der Bildner der Qual: seine Welt in Marmor gebliebener Gestalten: unausdenkbare Martern vortäuschend.»
Gerhart Hauptmann
18. Dezember
Meine Bemerkungen zu Thomas Manns Tagebüchern fertig, wohl die letzte Arbeit in diesem Jahr – doch wieder nahezu «ergriffen» von dem seltsamen Mann, leidenschaftlich und papiern zugleich, Stehkragen, aber DARÜBER halt doch ein Kopf (und darunter eine Seele).
Wenn ich das/den vergleiche mit diesen Abhub-Schreibern, die wieder mal und immer noch «von allem nichts gewußt», «doch nicht anders gekonnt» und «eben geglaubt haben» – die vor allem – sie in erster Linie – so sehr «gelitten» haben, während «der Herr Thomas Mann sich’s in Kalifornien wohl sein ließ» – es ist zum Kotzen. Des jungen Maxim Billers Brief «Die Deutschen hassen eine klare Sprache – und deswegen hassen sie SIE» trifft den Nagel auf den Kopf. Das wuhrt und währt – heute in einem Nachruf auf den Pädagogen Becker steht ganz «harmlos», ich wette sogar: unbeabsichtigt: «Er verteidigte als junger Anwalt den Vater des Bundespräsidenten, Ernst von Weizsäcker, bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Viele Möglichkeiten standen ihm danach offen, auch das Bundeskanzleramt unter Konrad Adenauer … einer der Söhne, Nicolas, verteidigte 1991/92 Erich Honecker.» Ganz Deutschland in einem Nachruf.
Viel Seele heißt oft auch viel Kälte. Schmalz wird auch kalt.
1994
The Traveller’s Club, London, den 13. Januar
In diesem feudalen (wenn auch heruntergekommenen) Londoner Club fand nun gestern das so geheimnisvoll wie spektakulär eingefädelte TV-Gespräch mit Salman Rushdie statt; an dem teilgenommen zu haben ich mich ohrfeigen könnte.
Untergebracht von den Pariser TV-Menschen (eine Zulieferfirma für ARTE) in einem 8.klassigen Studentenhotel, flüchtete ich im ersten Schock mal rasch ins Ritz zu einem Drink. Dann der übliche Hemdenrausch bei TURNBULL & ASSER, dann zum Erfinder des Lichts in der Malerei, zu Turner, in die Tate Gallery, dann zum pompous George (darüber weiter unten).
Verabredet war eine Sitzung/Besprechung aller Teilnehmer um 20 Uhr – ich saß in meiner Jugendherbergskemenate bis 20.30 – personne . Ging also fein zu Whiltons alleine essen (wo man, die Krise hat London fest im Griff, «no problem, Sir» – einen Tisch bekommt). Zurück im Hotel ein aufgeregter Portier, man erwarte mich «dringend» unten in der Bar. Dort lümmelte eine unübersehbare Schar von Franzosen, die vor allem – nachts um 11 – am Bestellen des Abendessens, des Weins und später des Desserts interessiert waren. Es stellte sich in Minutengeschwindigkeit heraus, daß die Chemie nicht stimmte – für die Franzosen (ich war der einzige «Ausländer») war ich Störenfried, man kakelte, schrie und diskutierte atemberaubend, von Vorbereitung keine Spur. Niemand konnte Auskunft geben, ob man wirklich den ganzen folgenden Tag brauchen würde, wann genau mit der Arbeit begonnen würde, WAS die Arbeit überhaupt sein würde. Auf mein abermaliges Drängen, ich würde gern den Abendflieger des nächsten Tages zurück nach Hamburg nehmen, kam ein «impossible» . Den nächsten Morgen PÜNKTLICH um 8 habe man bereit zu sein.
Also schlief ich unruhig in dem überheizten Zimmerchen ohne Luft, aber voller Lärm, war um 6 wach, pünktlich in der Halle – um zu entdecken, daß die Herren Franzosen – also die
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