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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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die Salon-Hündchen aus Paris, die zu apportieren gelernt haben, immer noch ein Löwe.

    Ein lustiger «Ich bin Präsident von allem»-Löwe war nachmittags zuvor der alte George Weidenfeld, dem auch nur zuzuhören kaum mehr möglich ist, ohne schwindelig zu werden: Zwischen Oxford und Bonn und Israel, Moskau und New York fand ich mich nicht zurecht, WAS er nun eigentlich genau tut und ist. Jedenfalls bin ich bereits der «main-speaker» bei irgendeiner Großveranstaltung und Gastprofessor in Oxford. Zu schön, diese aus Tee und kalter Zigarre entwickelten Gespinste.
    Ich floh die Stadt, erreichte mit kreischenden Rädern die letzte Maschine und war selig in meinem Malmaison .
    1. Februar
    Der gestrige Besuch bei Grass so bizarr wie schön. Bizarr, weil er – anfangs – erschreckend gealtert wirkte. Wir kamen gegen 19 Uhr – Ute: «Wir haben seit 4 Tagen unentwegt Besuch – keiner, außer euch, hat Blumen mitgebracht»; DEUTSCHE LITERATEN! – da saß auf unbequemen Sofa’chen ein Greis vor einer erkalteten Tasse Kaffee und schlief. Eine Menzelzeichnung.
    Erst mein Begehr: «Lies doch was aus deinem neuen Manuskript, ich würde gern etwas hören» machte ihn lebendig und – schöner, schön zu beobachtender Vorgang – machte ihn von Minute zu Minute, von Textpassage zu Textpassage munterer, bis er wieder der alte (junge), herrlich vortragende Günter Grass war. Der so tief in der Manuskriptarbeit steckt, daß ihn im Grunde alles andere – Politik, VOLK UND WELT-Querelen (die ich dann auch überhaupt nicht erwähnte, es war nicht der Moment für derlei) – nicht interessiert; NATÜRLICH auch nicht MEINE Arbeit. (Mein Roman DIE ABTREIBUNG kam eine Sekunde vor – als Ute fragte, ich schildere doch jemanden mit geriffelten Fingernägeln, das bekomme sie jetzt auch, ob ich nicht wüßte, was das sei und wie man dagegen …; DER Autor als Arzt. So, als fragte eine Dame in den Wechseljahren Thomas Mann nach Lektüre der BETROGENEN, wie man denn …) Gut. Oder schlecht. Aber mir hat die Intensität dieser Arbeit, die Versessenheit gefallen – und ich kam mir lächerlich und anmaßend vor, selber gerade einen Roman zu beginnen. Fast war ich erleichtert, danach nicht gefragt worden zu sein. Nicht, daß ich die berühmt-berüchtigte Scene evozieren will, wie Heine Goethen besucht und auf dessen höfliche Frage «Woran arbeiten Sie, Herr Heine?» die respektlose Antwort erhält: «An einem Faust» – woraufhin das Gespräch im Kühlen endete; aber vermessen und leichtfertig kam ich mir doch vor, verglichen mit dem Ernst und der Kunstobsession, mit dem/der Grass sein Papier pflügt.
    Ob das Manuskript nun gelungen ist? Kann ich nach ANHÖREN – nicht: Lesen von 3 Kapiteln von 32 – nicht sagen. Mir schien es kühn konstruiert, diese verborgene Fontane-Biographie als «untergenähtes Unterfutter» einer Romanhandlung – und dann auch wieder Bierzeitungs-banal. Fontane bei McDonald’s – ist das wirklich KOMISCH oder nur läppisch? Eine HEUTE agierende Figur «Fonti» zu nennen, damit sie rückversetzt ins 19. Jahrhundert ZUGLEICH Fontane sein kann – hm. Und ob diese Idee, eine Romanfigur im SELBEN Satz, in derselben Scene ZUGLEICH 1870 und 1989 agieren zu lassen, wirklich als Kunstgriff trägt oder nur als Kunstfertigkeit abplatzt – – – das kann ich jetzt noch nicht sagen.
    Egal. Es war ein berührender Abend beim von mir geliebten normal-bürgerlichen Essen (falscher Hase mit Rotkraut) und der sympathisch (auch seine Einsamkeit traurig dokumentierenden) leisen Geste zum Schluß: Er würde so gerne Wunderlich wiedersehen, ob ich da nicht etwas arrangieren könne. Zu Befehl. Die beiden Genies schaffen’s ja nicht, ihr Gipfeltreffen selber zu organisieren.
    Hotel Steigenberger, La Canaria, den 15. Februar
    Das Pochen des beinernen Fingers: kam beim Wasser-Ski heute nicht auf die Bretter; ich merkte beim Start: «Das geben meine Muskeln nicht mehr her.» Alle Ausreden – zu hohe Wellen, zu lange aus der Übung – sind eben welche. Die Wahrheit: Ich bin zu alt für so etwas. So wird ein Scheibchen nach dem anderen abgeschnitten – Ski schon seit Jahren nicht mehr, Tennis auch nicht; wann die «letzte Scheibe»? Dabei war ich doch so stolz, nicht einer dieser Stubenhocker-Literaten zu sein (und dennoch nicht dümmer als die), sondern Sport und Bordeaux und im offenen Porsche durch die Pyrenäen und Knaben und Frauen …
    21. Februar
    Ungezogener, gar rüpelhafter «Belehr»-Brief von Grass wegen Stefan

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