Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Heym; muß zurechtgewiesen werden.
Friedenau, am 17. 2. 1994
Lieber Fritz,
soeben lese ich Dein Plädoyer für Stefan Heyms PDS-Kandidatur. Mein erster Gedanke war: Er ist nicht recht bei Trost. Doch mein zweiter Gedanke ging schon mit Zorn einher. Wie kann man eine Kandidatur gutheißen und mit der Überschrift «Aufrecht» krönen, die auf undemokratische Weise, nein, vordemokratische Weise in Scene gesetzt worden ist. Es ist nun mal so, daß in einer Demokratie der Kandidatur ein parteiinterner Wahlvorgang vorgeschaltet ist. Nichts dergleichen ist geschehen. Stefan Heym wurde zum Kandidaten ernannt. So etwas geschah in vordemokratischen Zeiten in Ständeparlamenten, und so etwas geschah zu Herrschaftszeiten der SED und gehörte zur Praxis einer Partei, die nie aufgelöst worden ist; vielmehr wurde die PDS eine bloße Nachfolgeorganisation, die sich mit üblichem Etikettenschwindel auch noch Partei des Demokratischen Sozialismus nennt. Gysis Trick und Wählerbetrug ist allzu deutlich. Im Wahlkreis Berlin Mitte/Prenzlauer Berg sitzen die ehemaligen SED- und nun PDS-Mitglieder mit privilegierten Wohnungen dicht bei dicht, insbesondere in Berlin-Mitte. In ganz Ost-Berlin verfügt die PDS über 30 000 Mitglieder, die SPD zählt knappe 3000. Da die SED nie aufgelöst, sondern nur umbenannt worden ist, durfte sie ein Großteil des Parteivermögens auf dem PDS-Konto verbuchen, und gleichfalls ging SED-Grundbesitz an die PDS über. So ausgestattet, kann man beim Wahlkampf im Namen der PDS gegen den Sozialdemokraten Wolfgang Thierse richten. Da haben wir sie wieder, die alte Kampfrichtung seit Kominternzeiten: Feind Nr. 1 ist die Sozialdemokratie.
Ich muß Dir nicht versichern, wie sehr ich Stefan Heym in zurückliegenden Jahren geschätzt habe. Mit ihm zusammen bin ich Mitte der achtziger und Anfang der neunziger Jahre in Brüssel aufgetreten. Zu einem frühen Zeitpunkt, als niemand – und Du ganz gewiß nicht – dieses Thema wahrgenommen hat, haben wir uns Gedanken gemacht, wie eine zukünftige Einigung der Deutschen aussehen könnte. Und gleichfalls haben wir uns nach dem Fall der Mauer – abermals ganz im Gegensatz zu Dir – darüber Gedanken gemacht, welch verhängnisvolle Folgen eine Ruckzuck-Vereinigung haben würde; unsere rechtzeitigen Warnungen sind mehr als bestätigt worden.
Der hohe Grad von Übereinstimmung von damals besteht heute nicht mehr, und in diesem Sinne habe ich in einem Brief an Stefan Heym meinen Widerspruch deutlich gemacht.
Ich begreife Dich nicht, lieber Fritz. Vorgestern bist Du noch wie ein Scharfrichter durch die Gegend gelaufen, und heute deckst Du eine trickreiche Kumpanei, die auch Dich unglaubwürdig macht. (Übrigens nennst Du Heyms Roman «Fünf Tage im Juni» entweder aus Schlamperei oder wider besseres Wissen einen Roman über den «Volksaufstand vom 17. Juni». Es sei Dir, der Du neuerdings ausrufst: «Man wird ja wohl noch Sozialist sein dürfen» gesagt, daß in der DDR nie ein Volksaufstand, wohl aber ein Arbeiteraufstand stattgefunden hat. Die Adenauersche Titelei «Volksaufstand» ist im gleichen Maße Geschichtsverfälschung gewesen wie die SED-Titelei «Konterrevolution», siehe mein deutsches Trauerspiel «Die Plebejer proben den Aufstand».)
Soviel in Länge und dennoch Kürze, denn mein Zorn ist immer noch nicht abgekühlt.
Freundlich grüßt Dich
Dein Günter
Prof. Dr. Fritz Raddatz,
Hamburg, den 23. Februar 1994
Lieber Günter,
was Du mir doch gelegentlich und immer mal wieder für sonderbare Rüffelbriefe schreibst, unwirsch und wie dieser nun im Ton doch fast schon an der Grenze einer Freundesbeziehung. Wie eigenartig, daß Du fast nie – jedenfalls meist unter großen Schwierigkeiten – Meinungen anderer akzeptieren kannst. Ich hingegen halte es eher mit Voltaire (falls ich das nicht wieder falsch zitiere und es war ein anderer), der dem Sinn nach einmal gesagt hat: «Ich bin völlig anderer Meinung, aber ich will meinen letzten Blutstropfen dafür geben, daß diese Meinung geäußert werden darf.»
Du mußt mich wahrlich nicht über die PDS belehren, der ich nirgendwo Kränze geflochten habe und von der ich wohl weiß, daß sie zum einen eine Art Geldwaschanlage ist und zum anderen in ihrer Mitgliedschaft zu guten Teilen aus SED-Funktionären besteht. Du solltest mich aber auch nicht belehren (woher Du nur immer weißt, daß Du ganz gewiß und der andere ganz gewißlich nicht recht hat?), wie man Figur und Person Stefan Heym zu begreifen hat.
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