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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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hübsche Combo – aber nichts davon ist wahr. Das ist eine ordentliche Buchbesprechung, nicht mehr. Wäre es abends gewesen, hätte ich gedacht, er sei betrunken. Doch es stellte sich heraus, er wollte unter dem Vorwand dieses Lobes eigentlich nur davon reden, wie ALLE anderen ohnehin halb bekloppt seien, Herr Schirrmacher und, und, und.
    Dennoch ulkig, so ein Anruf – einerseits lieb, denn das ist ja nicht üblich im Gewerbe, daß man sich lobt. Andrerseits eben auch komisch.
    Wobei ich gar nicht verhehlen kann, daß dieses mich «vervielfältigen» mir im Augenblick Spaß macht: mein Buch, die vielen großen ZEITarbeiten kurz hintereinander, jetzt mein Tucholsky-Buch als Taschenbuch, diverse Interviews, Lesungen, Podiumsdiskussionen, in den nächsten Tagen das SPIEGELsonderheft mit meinem Augstein-Aufsatz. Vielleicht hat die Stützner recht, wenn sie das als Quelle für den Hass sieht.

    Apropos Augstein. Auch schon eine Pointe in sich, daß er nun öffentlich, ausgerechnet in einem SPIEGELinterview mit ihm (mit sich?) kundtut, sein Sohn Jakob würde sein Nachfolger, erbe die SPIEGELanteile und würde dort im Hause inthronisiert. Die Pointe ist nicht so sehr, daß die anderen Kinder das wohl nicht gerne gelesen haben werden, vor allem die ehrgeizige Franziska nicht, die das doch partout WOLLTE; die Pointe ist vielmehr, daß es ja gar nicht SEIN Sohn ist, sondern vielmehr der von Martin Walser, mit dem die schöne Maria weiland …: wahrlich eine Roman-Scene, könnte von Stendhal sein. Walser implantiert den SPIEGELnachfolger – besser hat kaum je ein «unehelicher Vater» sein Kind unterbringen können und eine fremdgehende Mutter auch nicht.
    14. November, grauer Niesel-November
    Den 1932er Vortrag Thomas Manns über Goethe noch mal gelesen und mich vor allem an den Schlußgedanken vergnügt, mit denen Thomas Mann auf den «bösen alten Mann» Goethe eingeht (nicht, daß ich vermessen genug wäre, mich zu vergleichen; aber man kann dieselbe Nervenstruktur haben, dieselben Dégoûts – ohne ein äquivalentes Werk zu schaffen). Sowohl Goethes Abwehr und Unverständnis der Jugend gegenüber erfrischen mein Herz (wenn ich an die ästhetische Hochstapelei heute denke) als auch die beschriebene Vereisung seines Alters, etwa in den Diwan-Zeilen: «Sie lassen mich alle grüßen/und hassen mich bis in den Tod.»
    Oder mit dem Vers «Ich bin Euch sämtlichen zur Last,/einigen auch sogar verhaßt» … das ruhmreiche Petrefakt vom Frauenplan weiß genau: «Warum sollte ich mir nicht sagen, daß ich immer mehr zu den Menschen gehöre, in denen man gerne leben mag, mit denen zu leben aber nicht erfreulich ist.» Herrlich.
    Thomas Mann, der ja stets aufs Erfrischendste von SICH spricht, wenn er andere darstellt, erwähnt nicht nur die «Bösheit des mächtigen Alters» bei Goethe, sondern erinnert auch an Napoleons Dünnlippigkeit im Gedanken an den eignen Tod: Einem Maréchal, den er gefragt hatte, was man wohl dereinst bei seinem Tode sagen werde, und der sich in weihevollen Klagen erging, die die Menschheit in diesem Falle erheben werde, schnitt er das Wort ab: «Alles Unsinn! Sie werden Ouf! sagen.»
    Viel Utopie liest man aus derlei Bemerkungen und Verhaltensweisen nicht. Dennoch kann ich nicht leugnen, daß mich ein – natürlich wie immer bei ihm zitierter – Satz vom alten Hans Mayer, neulich bei einem eher grotesken Fernsehdisput mit Liebermann, doch berührt hat. Bloch habe angesichts des stets siegreichen Kapitalismus gesagt: «Da fehlt doch was.» Hervorragende Definition. Nur Haus und Auto und Reisen und Landhaus und, und, und – das kann’s doch nicht sein? Da fehlt doch was? Oder ist das sentimental?
    26. November
    Das Schönste sind immer die Abende mit Paul (Wunderlich, dessen Mischung aus Sarkasmus, Eleganz und Selbstironie so wohltuend ist wie ein guter Bordeaux-Jahrgang (den ich allerdings, mit köstlichem Rehrücken, auch serviere). Selbst eine böse Verletzung – beim Bändigen der beißtollen Köter hat ihm einer eine Sehne am Mittelfinger der rechten Hand zerrissen – löst er noch dekorativ: Nachdem kein Arzt ihm helfen konnte, es sei denn mit dramatischen Operationsdrohungen, hat er sich selber einen Stützring für den irreparablen Finger gebaut. Er wird noch seinen Tod zierlich lösen.
    Am Abend zuvor zum Abendessen mit Hochhuth, der sich im Chaos seines Kopfes und seiner (Un-)Sitten treu blieb respektive übertraf: herrschte den verdutzten Kellner an: «Tun Sie ruhig alle Kartoffeln auf

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