Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Farben, die nun wiederhergestellt sind? Wie würde man reagieren, sähe man die in Wahrheit ehemals ja knallbunten griechischen Statuen, deren strengen und kühlen, farblosen Marmor man heute so bewundert?
27. März
Lauter murrige Nachträge, nur – wie fast immer – der über einen amüsanten Wunderlich-Abend nicht; den ich zum Dank für das Fabel-Couvert mit dem weiland nicht eingelösten Scheck «köstlich» mit Caviar und Tatar und allerlei Erlesenheiten ausgerichtet hatte. Lustig auch immer wieder – neben allem Gebildeten, das zwischen uns hin- und herspringt – seine Geldfaszination. Wahrlich träfe auch auf ihn Tucholskys spöttisches Wort über Max Liebermann zu: «Er wäre auch ohne Hände ein großer Bankier geworden»: So erzählt er nicht nur von den enorm reichen Schwiegereltern (?) aller möglichen Kinder und Stiefkinder, sondern ebenso amüsiert über deren Schock: «Was, MALER ist Ihr Vater – also arm und brotlos!» Was er besonders genießt, da er es ja eben nicht ist – vielmehr von Spekulationen mit südafrikanischen Rand oder «Kanal-Aktien» (was immer das sein mag) erzählt, die ihm 30 und mehr % Gewinne bringen.
Dagegen ist dann ein (der darauf folgende) Abend mit Hochhuth doch staubig-raschelndes Papier, in dessen Wust man nur selten einen lesenswerten Zettel findet: etwa, wenn er von einem geplanten Monolog-Stück EFFI BRIEST erzählt und (zu meiner Verblüffung, dachte ich doch, meinen Fontane zu kennen) davon, daß sie mit Manfred von Ardenne verwandt war/ist, daß die «ganze Geschichte» sich eigentlich in Düsseldorf abgespielt habe und daß der EIGENTLICHE Skandal darin bestanden hatte, daß es EIN BÜRGERLICHER war, keineswegs ein Major von Campras.
The Connaught, London, den 21. April
Fast krank vor Wut: Der Herr Oxford-Professor, der laut Lord George «ganz wild auf mich» sei, ließ sich von mir einladen, plauderte bei Tee und Schnittchen von sich, erkundigte sich, wer George Weidenfeld eigentlich sei – das war’s. Keine Einladung nach Oxford, kein Angebot.
Abends eines dieser mondänen Weidenfeld-Dinner, bei denen ich den Operndirektor und den weltberühmten «Wotan» nicht erkenne, aber «je peu me defendre» und plaudere in drei Sprachen mit Harold Pinter neben mir, dem deutschen Botschafter mir gegenüber, Mme. Wagner neben ihm oder Mme. Flick, die meine Tischdame war.
Witzige Pointe: Ich verirrte mich in Lord Georges Privat-Bad – und stand im Balkan: ein schmutziges Chaos voll Hunderter von Flacons, abblätternder Farbe, scheußlichen Handtüchern, und an den Wänden «Zertifikate» wie ein Friseur oder Masseur. Bühnenreif: vorne Bacon und Klimt und Schiele und die Diener in weißen Handschuhen – und hinten zerschlissene Frottélaken.
Heute morgen nun mein professionelles Gespräch, an dem einzig beeindruckend, wie der alte Wiener Jude lebendig wurde; will sagen: Als er von seinen diversen Israel-Engagements sprach, wurde der alte Mann jung, energisch, kämpferisch, nicht mehr name-dropping zwischen Helmut Kohl, Mercedes-Chef und Oetker, sondern ganz ernst und sympathisch.
Albergo del Sole al Pantheon, Rom, den 5. Mai
Abschiedskaffee vorm Pantheon, Ankunft in Venedig.
Venedig galt Harold Brodkey, den ich zu spät im Leben (meinem und besonders seinem) kennenlernte: Liebe auf den ersten Blick, wie das ja immer so ist: entweder sofort oder nie; die Mischung aus schwuler Koketterie und jüdischer Chuzpe und europäisch-amerikanischer Bildung ist mir sehr nahe; wie umgekehrt er schon nach ½ Stunde – neben dem ihn sichtlich nicht interessierenden Volker Hage vom SPIEGEL – sagte: «Aber wir sind uns ja sehr ähnlich» – außer, daß ich kein AIDS habe (??) und auf die in diesem Fall taktlose Frage «How are you?» (die mir unterlief) nicht sagen muß wie er: «Thank you, I’m dying.»
War verwirrt über Rowohlt-Naumann, der mich vorstellte als jemanden mit «einer phänomenalen Sammlung», als «den zu seiner Zeit besten deutschen Verleger», als den «heute brillantesten Literaturkritiker», als «hochinteressanten Romancier». Immer wieder ein Rätsel: ÜBER mich spricht er gut, aber für eben die Bücher, die er bei Tische so preist, tut er so gut wie nix. (Gewiß, gewiß – es war immerhin Naumann, der mit dem Satz «Ich habe als Student Ihre Marx-Biographie verschlungen – die MUSS ins Rowohlt-Programm» die 10bändige Taschenbuchausgabe meiner essayistisch-biographischen Arbeiten begann und veranlaßte und durchsetzte, die Lizenzen von
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