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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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etwa von einem Thomas-Bernhard-«Sklaven», der dem Dichter das Bier holen oder die Briefe zur Post bringen durfte und daraus einen Winzlings-Eckermann destillierte. Irgendwann tauchte dann so eine Figur in Marbach mit Koffern voller «Erinnerungen», Notizen usw. auf, die er wohl stets flugs aufs Papier brachte, wenn der Dichter etwa nach einem Fernseh-Abend bei ihm das Haus verlassen hatte. Das Problem Tagebuch zur Kenntlichkeit gebracht …
    Nächsten Tags war’s unangenehmer, weil ich ja in Marbach «meine Pyramide» besichtigte: SEHR widersprüchliche Gefühle. Einerseits beruhigend, vor den doch Respekt erheischenden Wänden mit eigenen Devotionalien zu stehen, die eigenen Korrespondenz-Leitzordner, Autographenmappen usw. anzusehen; andererseits das Gefühl des läppischen «Wer will das». Einerseits führt es Fleiß und Spektrum eines Lebens vor – andererseits weckt es auch das Gefühl «Das war’s also?» mit dickem Fragezeichen. HÖCHST irritierend dabei zwei «Prinzipien» dieses Schiller-Museums: «Werke» (inklusive der Handschriften dazu) interessieren dort offensichtlich garnicht; nicht nur MEINE nicht, sondern generell keine – nur Briefwechsel und Tagebücher. Das ist nicht nur an dem winzigen Detail ablesbar, daß meine Korrespondenz-Ordner correctissime geordnet sind, während die Manuskripte der Bücher, die Ordner mit den Rezensionen der Bücher usw. wie Kraut und Rüben durcheinanderstehen. Aber auch zwei «deutlichere» Beispiele führten diese Mischung aus Frivolität und Abstraktheit solcher «Sammler»gehirne vor. Auf meine Bitten zeigte man mir die «Abteilung» Rühmkorf (auch, weil ich kollegenneidisch war UND weil ich wußte, er hatte etwas mehr Geld bekommen): ein Tesa-Filmverklebtes Jiffy-Tüten-Chaos grausligster Art, NIEMAND weiß, was in diesen verknautschten Couverts überhaupt drinsteckt (er könnte theoretisch altes Zeitungspapier hineingestopft und verkauft haben) – auch das in gewisser Weise zu meiner Wut: Wieso wurde für SO WAS mehr bezahlt, für etwas, das man überhaupt nicht kennt (während bei mir wochenlang «geprüft» wurde?!). Dito mit Hans Sahls Material – die Frage, ob denn die Tagebücher (die ich ja mal edieren sollte) dabei seien, konnte mir der Herr Dr. nicht beantworten. Dafür wußte er, daß es seiner Frau «sehr schlecht ginge». WIE schlecht – auch DAS wußte er nicht – hier lag nämlich ihre Todesanzeige …
    So sind auch noch die zwei vorangegangenen Abende zu verzeichnen, die ihrerseits sich ins Läppische zersetzten: der eine die 80-Jahre-Geburtstagsfeier für George Tabori, die, wenig respektabel besetzt, von einem läppischen «Lieber-George-Brief» von Flimm verlieblost und von einem mit ungenießbaren Scheußlichkeiten verunzierten Buffet gekrönt war. Ich war etwas zittrig, weil seit langem das 1. Mal bei so was ohne Gerd und wohl wissend, wie gerne er dabei gewesen, WIE wohl er sich da gefühlt hätte zwischen allerlei Schauspielern und Flimm und Antje usw. Das einzig lustige Detail: wie Flimm die entgleist guckende Kultursenatorin fragte, ob sie auch «Mitglied der RAF sei oder werden wolle» – des Raddatz-Fan-Clubs, den er mit Grass und Bissinger gebildet habe und dessen Präsident er sei. Das sind so Kantinenwitze –.
    Irrwisch Biermann neuerdings oft dabei und dazwischen, mit mir – after all! – sehr freundlich, wenn nicht gar freundschaftlich tuend; hm. Oder täuscht mich meine Eitelkeit?
    Schönes Motto für mein Leben (von Montherlant): «Se faire des amis est le souci du commerçant, se faire des ennemis – celui de l’aristocrate.»
    Hôtel Lutetia, Paris, im Juni
    Der Grund der Paris-Reise, das Interview mit Amado, war schattenhaft-banal: ein alter Mann, der wie eine Platte das wiederholt, was er … zigmal gesagt hatte (und was ich aus meinen Archiv-Unterlagen kannte). Wenn ich ehrlich bin, ist es rausgeschmissenes Geld.
    Berührend und bedrückend auch dieses Zermahlen-Werden vom Alter. Wenn ich z. B. die z. T. absurden Fotos der «Veteranen» sehe anläßlich dieses Invasions-Jahrestages, humpelnde Greise und weißhaarige alte Frauen, die irgendwo in Kalifornien noch mal ins Wasser hüpfen und selbst dort schon meist von Strandwächtern gerettet werden müssen (zu den Feierlichkeiten sind umfangreiche medizinische Hilfsvorbereitungen getroffen worden, weil «jemand sich beim Aussteigen aus dem Bus die Hüfte brechen» oder «jemand vor Aufregung einen Herzanfall bekommen» könnte). Und das waren die knackigen

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