Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
liebevoll arrangierten Fotos von Jane aus (FÜR ROMAN MERKEN!!), oder ich konferiere mit Churchill auf einem beschossenen Kriegsschiff.
Muß aufpassen, nicht ein mürrischer alter Mann zu werden, den es ärgert, daß der Regen von oben nach unten strömt. Wobei interessant und warnend Rowohlt-Naumanns Erzählungen über Rühmkorfs Tagbücher (die er um und um schreibt). Sein Lebens-Mißmut war/ist Nicht-Anerkennung! Darauf wäre ich NIE gekommen, weil ich umgekehrt stets dachte, ob er nicht etwas über Gebühr anerkannt sei. So sind wir wohl alle, wir Literaten. Genauso klage ich – der vermutlich von vielen, von «außen» als extrem erfolgreich gesehen wird, gar als «reich». Und so klagt Grass, der sich zurückzieht auf ein: «Im Ausland erkennt man meine Bedeutung» – und nur der sogar gegen sich selber zynische Paul Wunderlich klagt nicht, sondern konstatiert es kühl – und kassiert; unter dem Motto «Der Teufel scheißt stets auf den größten Haufen» bekommt er noch qua Anwalt Unsummen, weil Telefonkarten ohne Genehmigung Motive von ihm benutzen oder eine Kaffeefirma zur Werbung eine seiner Mokkatassen abbildete. Herrlich. Weniger herrlich, wie «Freundeklauend» alle möglichen Leute zu ihm wallfahren, aber nichts von seiner Kunst halten. Sie finden IHN herrlich, den Gastgeber, den ironischen Gentleman – aber kämen nicht auf die Idee, etwas von ihm zu kaufen (im Gegensatz zu mir), finden seine Arbeit gar scheußlich. Geht das? Rühmkorf übrigens, was ich nicht wußte, seit Jahren Haschisch konsumierend. Was ja wohl nicht süchtig macht, aber das Gehirn versoßt.
Hotel Schloßwirt, Salzburg, den 2. August (seit 2 Tagen retour aus Salzburg)
«Seine Figuren, von der Existenz versteinert, scheinen jeden Augenblick in ihrer eigenen Einsamkeit zu Asche zerfallen zu wollen. Nicht das Schicksal zerstört sie, nicht ihre eigenen Leidenschaften; nicht der Konflikt mit der Gesellschaft zersetzt ihre Gefühle: der Mensch ist einsam bei Pirandello, und die Tragödie entsteht ausschließlich aus dieser Einsamkeit beziehungsweise aus der Tatsache, daß der Mensch, da er nun mal so einsam ist, bei dem Versuch, eine Beziehung zu einem von ihm Verschiedenen herzustellen, entdecken muß, daß er in einer Welt von Masken eingesperrt ist, in der er selbst auch nur Maske ist. Die Tragödie entsteht also aus der Tatsache, daß der Mensch in der eigenen Einsamkeit aus einem Maskendasein entfliehen will, aber von den anderen Masken daran gehindert wird – und er selbst, genauso Maske, wird seinerseits die anderen daran dann hindern. Das ist die Tragödie des modernen Solipsismus oder der Radikalisierung, innerhalb derer der romantische Idealismus zusammengebrochen ist: das Bild des ICH verfügt über ein autistisches Gegenüber in sich selbst.»
Enzo Siciliano im Programmheft über Pirandellos DIE RIESEN VOM BERGE.
Das ist das Motto für mein Salzburg«erlebnis» und für meine momentane Befindlichkeit generell. So, wie passenderweise das Programmheft ausschließlich mit den erstarrten Einsamkeits-Bildnissen De Chiricos oder Mario Sironis (dieses von mir entdeckten späteren Faschisten, anfangs Futurist, sah ihn erstmals mit Gerd in Rom) oder Donghi illustriert ist – so einsam, starr, beziehungslos ging ich durch diese Tage. Ganz tief innen war ich völlig unberührt von Oper wie Theater – wohinzu allerdings kommt, daß ich immer mehr und mehr wieder einmal merkte, wie zutiefst fremd mir die Welt der Oper ist: Diese a-weltliche Logik, will sagen EIGENE Logik, die mit der Realität nichts zu tun hat – wenn ich recht begreife, spielt der GANZE Don Giovanni in EINER Nacht?! –, bewegt mich nicht. Ich weiß schon, und las neulich bei Wapnewski viel besser, eleganter formuliert, daß, wer Oper mit der Elle «wirklicher Logik» messen wolle, eben besser Opern nicht ansieht/anhört – aber ich kann mir ja nicht selber ein Wohlgefallen vormachen, das ich nicht habe. Gewiß, gewiß, der Don Giovanni ist DIE Oper der Weltliteratur, man weiß das als gebildeter Mensch; aber in mir regt sich GARNICHTS, während der Komtur ermordet wird, die Damen betrogen oder die Rollen vertauscht werden. Der «schöne Klang»? Kann ich nicht beurteilen.
So taumelte ich (nicht nur wegen der mörderischen Hitze; und das noch im Smoking …) abwesend, abweisend durch die Festtage, die für mich – von RAKES PROGRESS über ANTONIUS UND KLEOPATRA bis eben zu jenem RIESEN VOM BERGE – nur EIN Leitmotiv hatten: die Einsamkeit,
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