Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
«Sore» druckten – nämlich den gestohlenen Brief Uwe Johnsons gegen mich, ohne je 1 Sekunde zu recherchieren, ob die dort erhobenen Vorwürfe gegen mich denn der Wahrheit entsprachen, ohne auch nur die 20 Pfennige Stadtgespräch zu investieren und MICH nach den Zusammenhängen und nach der Wahrheit zu fragen. Der miese Herr Karasek antwortete auf Haug von Kuenheims Satz (in einem Telefonat), sie druckten ja nun Hehlerware: «Was soll’s. Wenn ich auf der Reeperbahn eine Rolex kaufe, frage ich ja auch nicht danach, wo sie herstammt.» Rotwelsch.
    21. Juni (Pfingstsamstag)
    Endlosstreiflicht, dieses Land kennzeichnend: Meine Ruth Pisarek erzählt mir neulich in Berlin von ihrem Bruder und meinem Freund Schorchis Tod (qualvoll und viel zu spät schließlich durch ihn selber mit Hilfe des Arztes durch eine Überdosis Morphium herbeigeführt): Patienten ihrer und seiner Augenarztpraxis waren spürbar «befremdet» darüber, daß er auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde (wohl aufbewahrt bei mir die gräßlich-«schönen» Fotos der beiden Kinder mit dem gelben Stern!); «Aber das ist ja so weit draußen» war noch die gnädigste Bemerkung. Das Absurde: Ruth fand in ihrem Mandelstam-Buch, das ich ihr 1960 geschenkt hatte und in dem sie nach einem «Spruch» für den toten Bruder suchte, einen Zettel von mir: «damit du weißt, wie man’s macht». Also offenbar ein Selbstmord-Gedicht.
    Wie billig-ordinär dagegen der Hamburger Journalistenklatsch. Weil Augstein Peter Zadeks Wiener Shakespeare-Inscenierung verrissen hat, windet der sich nun in Qualen («Niemand kennt Herrn Karasek oder Herrn Stadelmeier, egal, was die schreiben – aber Augstein kennt die ganze Welt»). Also spitzte der Herr Zadek Antje an, sie müsse «was unternehmen» (als gehöre ihr der SPIEGEL; das erinnert mich an Bölls Verwunderung, als Solschenizyn, kaum zu ihm geflohen, zu ihm sagte: «Rufen Sie sofort die Gräfin Dönhoff und Herrn Augstein an, damit das abgestellt wird» – und Böll ihm nicht klarmachen konnte, daß es dieses sowjetische Prinzip, mal eben bei Stalin anrufen, hier nicht gibt). Typisch die Zadeksche Unterstellung: Augstein habe den Artikel in Wahrheit geschrieben, um sich an Antje zu rächen, weil sie ihn verlassen habe, dort «an Zadeks Seite» der Mittelpunkt gewesen sei und er diese «Demonstration von Unabhängigkeit» nicht habe ertragen können. Daß ihm vielleicht ganz schlicht und einfach die Inscenierung nicht gefallen habe – DARAUF kommt der Künstler garnicht.
    Pointe der Pointe: Da Heiner Müller lauthals ebenfalls über den Abend schimpfte, ist der nun auch prompt Zadeks antisemitischer Feind geworden, und er, Zadek, signalisiert mir nun («Was wohl Raddatz zu der Sache meint?»), es täte ihm leid, daß er damals anläßlich meines Artikels über Heiner Müllers Stasi-Kungelei sich vor den gestellt habe.
    Kampen, den 21. Juni
    Ein Notat zum Stichwort Entfernung zwischen Schriftstellern. Out of the blue sky rief hier, nach ca. 2 Jahren Schweigen, Thomas Brasch an. Aber ich frage mich, ob sein Gehirn noch wirklich richtig funktioniert, ob es nicht zerfressen, zumindest durchlöchert ist vom Kokain (wie alle Welt behauptet). Es war ein unkontrollierter Sturzbach zwischen unzusammenhängenden Haltepunkten.
    Ich war in San Francisco, habe dort eine Oper geschrieben, bin dort in Ohnmacht gefallen, «schreiben heißt atmen lernen» (das mit lutherischer Bedeutung), ich schreibe einen Film über eine afrikanische Sängerin (lange Erklärung, warum er den Film NICHT schreibt, irgendwas mit Rassismus und seinem Judentum, total unverständlich), Schindlers Liste habe ich mir nicht angesehen, ist ein schlechter Film, die Leute gehen in San Francisco toll mit AIDS um, ich schreibe Prosa, sie ist aber schlecht, wäre nur gut, wenn ich die Frage meines Vaters «Was ist der Unterschied zwischen Furcht und Angst» beantworten könnte, Sascha Anderson habe ich gesagt: «Erklär mir, wie dir zumute ist, ich will nichts darüber schreiben, ich will’s nur wissen», das habe ich in mein Tagebuch eingetragen. Ich schreibe kein Tagebuch, in einer Zeit, in der Klaus Kinski tot ist, den Brecht ans BE holen wollte, und Hanns Lothar auch.
    21. Juli
    Skribbel-Notate ohne Kontur, mehr Bedrückungsnotizen, wie sie meine Träume anbieten: ausschließlich Wälz- und Alpträume, von Krieg, explodierenden Häusern, Kampf, Not, Betrug, Jagd, Verfolgung, Einbruch. Ledig arrangiert sein eigenes Totenbett und sortiert die von mir dort

Weitere Kostenlose Bücher