Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Doch bei Fontane heißt die knappste Eintragung «im Bett». Wer hat etwas davon? ER weiß es doch – und für andere ist dieser Umstand alleine nicht interessant.
Dennoch habe ich, 1895, also 100 Jahre her, ein schönes Motto auch für meine momentane Befindlichkeit gefunden: DAS ALTE GESELLSCHAFTLICHE LEBEN SCHLÄFT MEHR UND MEHR EIN, ALLES IST TOT ODER KRANK – – – oder verkracht.
Es war also nie anders … auch nicht, was das Interesse an Literatur betrifft. Der heute so Berühmte und Gerühmte notiert noch 1894 den Mißerfolg eines Sammelbandes seiner Erzählungen: «Kein Mensch kümmert sich darum, doch wohl noch weniger als recht und billig. Natürlich sind solche Geschichten nicht angetan, hunderttausend Herzen oder auch nur eintausend im Fluge zu erobern, man kann nicht danach laufen und rennen, als ob ein Extrablatt mit vierfachem Mord ausgerufen würde, aber es müßte doch ein paar Menschen geben, die hervorhöben: ‹Ja, wenn das auch nicht sehr interessant ist, so ist es doch fein und gut … und die Sauberkeit der Arbeit zu sehn ist ein künstlerisches Vergnügen.›»
ZU schade, daß er selber uns derlei so wenig, fast gar nicht bietet – solche Selbstcharakteristica oder auch Äußerungen über andere, über Literatur, Stücke, Inscenierungen, Politiker –, das sind Rarissima unter den ewigen «Die Vossische druckt mein …» oder «In den X-Monatsheften erscheint mein Artikel Y». Das ist so, als würde ich im Tagebuch eintragen, wann ich einen Artikel an die ZEIT gegeben oder wann MERIAN was von mir gedruckt hat. Da er nichts über Redaktionsalltag, über Ablehnungen oder Publikationsschwierigkeiten schreibt, vielmehr nur den Umstand «abgeliefert» oder «gedruckt» notiert – ist es obsolet. Es hat keinen Sinn, so was festzuhalten. Manchmal liest es sich wie Gleichgültigkeit der eignen Arbeit gegenüber (weil er nie auf PROBLEME der Arbeit eingeht) – wie er ja auch den Tod eines seiner Söhne mit Thomas-Mannscher Kühle beschreibt: «Als ich eintrat, war er eben tot. Das Begräbnis war herrlich, 4 Uhr nachmittags, schönster Herbsttag, Exzellenzen und Generäle in Fülle.»
Auch das übrigens irritierend: Sein Umgang mit allen möglichen Exzellenzen, Prinzen, Adligen, Militärs, Politikern (meist werden nur reihenweise die Namen von Abendessengästen – bei ihm oder bei anderen – aufgezählt, ohne irgendeinen Witz, irgendeine Beschreibung) legt den Verdacht nahe, daß ihm das/er sich imponierte.
Wie eben auch viel zu selten artistische Bewertungen zu finden sind – die, WENN sie da zu finden, köstlich, treffsicher und souverän sind. Er war ein unbestechlicher Kritiker: «Böcklins Toteninsel ist schön, wirkt aber doch, als habe er bei sich eine Anleihe gemacht»; Wildenbruch: «armer Stümper, der sich einbildet, in Heinrich von Kleists Sattel weiterreiten zu können. Den Sattel hat er vielleicht, aber nicht das Pferd»; «Ganz Raabe-glänzend und geschmacklos, tief und öde»; «Wenn man von Flemming heißt und auf einem hinterpommer’schen Gute wohnt, muß man durchaus konservativ sein – von dieser Regel darf nur DER eine Ausnahme machen, der SEHR klug ist. Ein kleiner Durchschnittsmensch muß innerhalb seiner Klasse bleiben und darf nicht halbgenialen Allotria treiben»; eine kleine Betrachtung zu Makart ist Urteil über eine ganze Kunstrichtung: «Trotzdem läßt mich all diese Pracht und all dies Können ganz kalt, ja mehr, es langweilt mich. Eins der Weibsbilder, in einem weißen Bademantel, ist sehr schön – aber es flößt mir nur ein Porträt-Interesse ein: ‹Muß das eine schöne Person sein› – über diese Betrachtung komme ich nicht hinaus»; die ganze Gottfried-Keller-Ästhetik in EINER kurzen Abfuhr: «Ich bin mir aber doch nicht sicher, ob dies Vorgeschilderte die Aufgaben sind, die man sich stellen soll. Eine exakte, natürlich in ihrer ART AUCH den Meister verratende Schilderung des wirklichen Lebens, das Auftretenlassen wirklicher Menschen und ihrer Schicksale scheint mir doch das Höhere zu sein. Ein echtes, ganzes Kunstwerk kann ohne Wahrheit nicht bestehen, und das Willkürliche, das Launenhafte, so reizvoll, so geistreich, so überlegen es auftreten mag, tritt doch dahinter zurück» (23. Mai 1881).
Es ist ein Jammer, daß er uns sich vorenthalten hat: DAS wären wunderbare Tagebücher gewesen/geworden; statt der banal-albernen Eintragungen «gearbeitet. Hoppenrade. Besuch von Frau Krigar. Spaziergang. Gelesen» (6. 2. 1881), womit niemand
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