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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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erklärt.
    Friedenau, den 17. Januar 1995

    Lieber Fritz,
    wie soll ich Dir auf Deinen Brief antworten? Zuerst einmal: Es tut mir leid, daß Dich der Artikel in der «Süddeutschen Zeitung» verletzt hat. Dann aber – und schon zweifle ich, ob Dich meine Erklärung erreichen kann – muß einiges berichtigt werden. Zum einen eine Nichtigkeit: Zimmermann hatte mich im Sommer des vergangenen Jahres in Behlendorf besucht; ich hatte keine Ahnung, daß, wie Du glaubst, in München die Rotationspressen eine «Beschimpfung gegen mich aus Deinem Munde ausdrucken», während wir beim Neujahrsfrühstück saßen. Zum anderen: Die unsägliche Reihung von Namen, die Dich neben Botho Strauß setzt, ist nicht mein Werk. Nie käme ich auf die Idee, Dich unter dem Sammelbegriff «rechtsgebeugt» in solche Gesellschaft zu bringen. Zwar habe ich mit Zimmermann darüber gesprochen, inwieweit der deutsche Einheitsprozeß die Intellektuellen und Schriftsteller auseinander- oder in Distanz gebracht hat, doch da ich bei dieser Gelegenheit wie auch an anderer Stelle niemals auf den Gedanken käme, Enzensbergers und Walsers neue Positionen als deckungsgleich zu werten – zwischen beiden liegen Welten –, so habe ich, was Dich betrifft, nur kritisch vermerkt, was Dir bekannt ist, insbesondere, daß ich nach wie vor Dein Urteil über Christa Wolf als zu rigoros empfinde, auch daß die ihr angehängten Be- und Verurteilungen wie Lüge oder Lebenslüge allzu anmaßend klingen, insbesondere aus westdeutscher Sicht.
    Ich gebe gerne zu, daß mich Deine wechselnde Parteinahme gelegentlich irritiert hat, und ich frage mich auch heute noch, wie Du einerseits, z. B. Christa Wolf gegenüber, einen streng moralischen Standpunkt vertreten kannst und andererseits in der Lage bist, Stefan Heyms Kandidatur für die PDS nicht nur zu akzeptieren, sondern auch als neuerlichen Ausdruck von Sozialismus zu feiern. Davon war übrigens im Gespräch mit Zimmermann nicht die Rede.
    Nun mag es sein, daß ich mich ungebührlich oder gar zu Unrecht irritiert und verwundert gesehen habe. Da wir in dieser Sache beide verschiedener Meinung sind, steht wohl auch jedem von uns das Recht auf Irrtum zu. So bin ich denn weiterhin verwundert, daß Du hinter dem Artikel in der «Süddeutschen Zeitung» nicht journalistischen Pfusch vermutest, vielmehr mir, Deinem Freund zutraust, Dich als «rechts» stehend und gar «rechtsgebeugt» zu bezeichnen.
    Und doch bleibt am Ende ein Rest, für den ich mich nicht entschuldigen und den ich nicht erklären kann. Ich hätte, wie ich es bei Interviews in der Regel tue, alles von mir Gesprochene vor der Drucklegung lesen müssen, und diese Nachlässigkeit hat dazu geführt, daß ich Dich verletzt habe. Vielleicht kannst Du mir verzeihen …

    Dein Günter
    19. Januar
    Und Grass «entschuldigt» sich nun, er habe das NIE gesagt und wie ich nur glauben könne … Aber das EINZIG Richtige, derlei dann auch ÖFFENTLICH richtigzustellen, darauf kommt er offenbar nicht (während sich derlei doch festtritt – ich bekomme das wie jenen Uwe-Johnson-Brief bei passender Gelegenheit im nächsten Interview um die Ohren).
    Damit verglichen ist ja dann ein Abend mit Gerd wie der gestern, wo ich über den jüdischen Katholiken Döblin, seine schreckliche Flucht durch Frankreich, seine «Erweckung», sein Schicksal im Nachkriegsdeutschland erzählte, ein schieres Wunder. Er schien geradezu glücklich («was ich bei dir alles lerne») – jedenfalls kein vertaner Abend. Nur: ICH lerne nie etwas, ich «gebe» nur immer – den Bordeaux ohnehin, aber auch die Gesprächsdramaturgie. Ich bin das 4. Programm.
    30. Januar
    Vorgestern im Arte-Interview ein alter Nazi-Offizier (Kageneck?), der noch jetzt mühelos und selbstverständlich von «der Amerikaner» sprach, von «Russenpanzer» – dem der Tiger, «eine wunderbare 88-mm-Kanone», weit überlegen gewesen sei: «Wir haben an einem Tag 68 Russenpanzer geknackt.» Dieser schneidige Hitler-Diener, der sich für einen Herren hielt, begriff gar nicht die Ironie des französischen Befragers: «Graf Kageneck, sagen Sie mir, wie kam es dazu, daß Sie bei all dieser großartigen Überlegenheit den Krieg verloren?»
    7. Februar
    Es gibt kriminelle Energie; und es gibt kriminelle Bizarrerien: Gestern kam also der Rowohlt-Scheck (leider zwar an mich, aber nicht für mich) für die illegalen Überdrucke, die Volk und Welt zu DDR-Zeiten von Tucholsky-Büchern aufgelegt hat: 1,2 Millionen Mark!
    Um diesen Betrag hat man

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