Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
etwas anfangen kann. Hat er das gewußt? Immerhin gibt es den Vers von ihm:
Tagebuch du nahmst mich pünktlich
wochenlang zu Protokoll
doch dein Inhalt, so bedünkt mich
ist zum Weinen jammervoll.
Herauspicken muß man sich herrliche Berlinismen wie «unpratschig», «herumgepusselt».
Und merken sollte ich mir, wie er seine «Brouillons» – die wie unter Druck in großer Eile und kurzer Zeit hingeworfenen Erstfassungen seiner Romane – später pusselte und bastelte, feilte und umschrieb.
Noch 2 «Nachklappen»:
Zu Gustav Freytags AUS EINER KLEINEN STADT, Februar 1881: «Ledern, trocken im höchsten Grade … es wirkt alles wie auf fernste Zukunft berechnet und dadurch prätentiös und wenig angenehm. Infolge davon pulst kein Leben in dem Buch … Allem fehlt die freudige Unbefangenheit, DIE LUST AN DER SACHE SELBST, alles ist herausgeklügelt und dient einem doctrinairen Zwecke.» 8. XI. 1881: «Am Abend in Putlitz ‹IDEALISTEN›. Ein SEHR schwaches Stück, in Hoffnung auf Tantieme zusammengeschmaddert … Und solcher Mann glaubt ganz ernsthaft, er vertrete die BESSERE, SITTLICHERE Seite deutscher Kunst. Dann bin ich für Unsittlichkeit und Schweinerei.»
13. Januar 1995
Lieber Günter –
was sind wir nur für seltsame Freunde; wenn wir’s denn sind: Da sitzen wir also einen langen, freundschaftlich-heiteren Silvester-Abend zusammen, ein gemütliches Neujahrsfrühstück hindurch – und währenddessen weißt Du, daß die Rotationspressen einer auflagenstarken Zeitung eine Beschimpfung gegen mich aus Deinem Munde ausdrucken; nach einer nicht direkt ungastlichen Nacht mit Umarmungen zu Mitternacht ein geradezu bösartiger Angriff – ich bin also Kumpan des Botho Strauß, «rechtsgebeugt» und kann mit dem Begriff «Verantwortung des Schriftstellers» nicht mehr umgehen. So hättest Du also die Neujahrsnacht auch mit Botho Strauß verbracht?
Das ist doch die Auflösung aller Begriffe? Ich bin «rechtsgebeugt»? Womit? Mit welcher Zeile von mir wäre das belegbar? Ganz kürzlich war ich für Dich noch unehrenhafter PDS-Helfer, weil ich aus purer Noblesse plädierte, dem alten Emigranten Heym nicht das Wort zu verbieten (wohl anmerkend, daß ich in fast nichts seiner Meinung bin). Da nanntest Du mich einen «enttäuschten Kommunisten» und gingst auf meine Antwort, daß ich nie Kommunist gewesen sei, deswegen auch kein «enttäuschter» sein könne, nicht ein.
Nun stehe ich «rechts» – mit meinem großen Aufsatz über Carl von Ossietzky, vor drei Wochen erschienen? Mit meinem Buch über Tucholsky (das Ute so besonders gut gefiel)? Mit meinem letzten Essayband über Benn, Brecht u. a.? Mit meinem Aufsatz über die Ausländerliteratur?
Das hat weder Logik noch Vernunft; Walser – zu dem Du mich gruppierst – hat mich ja gerade vor wenigen Wochen emphatisch angegriffen. Weil ich die Verantwortung des Schriftstellers fordere. Selbst da, wo Du und ich differieren (was doch wohl ohne Verunglimpfungen und öffentliche Schmähungen möglich sein muß?), nämlich in Sachen DDR und DDR-Autoren – klage ich ja gerade eben diese Verantwortung ein. Das hier beigelegte kleine Interview in Sachen Christa Wolf und ein längerer Brief (ich erzählte in der Nacht gar von diesem Brief, als Bissinger sagte, er kann die Position von Senfft und Gaus nicht mehr ertragen) formulieren meine Haltung; die – anders als Deine und vieler, die jetzt urteilen – biographiegeprägt ist. Ich würde nie behaupten, dies sei die EINZIG MÖGLICHE, gar die WAHRE – aber es ist eine, die zu Diffamierungen keinen Anlaß bietet. Zu dem absurden Etikett «rechtsgebeugt» – was immer Du mit «gebeugt» meinen magst – schon überhaupt nicht.
Du beklagst in dem Gespräch mit Herrn Zimmermann die Beliebigkeit der literaturkritischen Standpunkte, das Sich-nicht-Einlassen auf Inhalte, Denkstrukturen, Formulierungen: und tust mit dieser durch rein gar nichts zu belegenden Nebenbemerkung genau DAS. Unerfindlich ist mir auch die «Tenue»: Noch tief in der Nacht, es waren nur noch Ute und wir beide übrig, ermunterst Du mich zu einem Buch – «Das kannst nur Du schreiben, früher hätte es noch Hans Mayer gekonnt» – und sprichst voller Respekt von meiner Arbeit (wie es normal ist: Unsere Freundschaft gründet doch nicht zuletzt im gegenseitigen Respekt vor der Arbeit des anderen?) –, und die ganze Zeit weißt Du, daß ich wenige Tage später eine ruppige Anrempelei auf dem Schreibtisch finden werde. Das hätte ich doch gerne
Weitere Kostenlose Bücher