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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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fotografierend wie einen Affen im Zoo und – wenn Sonne ist – stundenlang in der Sonne dösend: gräßlich.
    Es wird mir nicht gelingen, den Ort zu finden, an den ich in den langen grauen und trübsinnig-machenden Wintermonaten fliehen kann. Irgendwelche «eleganten» Bali-Seychellen-Malediven-Situationen sind mir zu weit und nicht «mein» Klima, dito Mexiko oder Karibik. So war das Beste an dem Kleinbürgerleben in dem dort gemieteten Häuschen (abwaschen, Müllbeutel leeren, Klopapier kaufen inklusive), daß ich meinen Rimbaud-Essay geschafft habe. Ohne die(se) Arbeit wäre ich an jedem Ort der Welt und an diesem besonders todunglücklich.
    Da beginnt ein Problem, will sagen beginnt etwas, was mich mehr und mehr (be-)drückt: Meine Arbeit nimmt ja ab, mein «Gefragtsein». Ich BEOBACHTE nicht nur den Kulturverfall, ich bin TEIL DAVON: In der Post nur die idiotischsten Vorschläge für irgendwelche Hopp-Hopp-Magazin-Sendungen, bitte ganz rasch, und morgen müssen wir drehen – aber: kein Wort vom Honorar, vom Inhalt, von der Länge der mir zur Verfügung stehenden Zeit. Das Muster ist so: Man weiß nur so ungefähr, wer ich bin – «Sie waren doch beim Aufbauverlag und bei Desch» –, ist verwundert bis empört, wenn ich sage: «Warum soll ich mich mit jemandem, über was auch immer, unterhalten, der keine Ahnung von meiner Arbeit hat» und ist, wenn ich nach dem Honorar frage, gänzlich ungehalten: «Wir dachten an 500 Mark.» Daß das keine 250 Mark für mich sind, und dafür repariert mir kein Elektriker eine Steckdose, ist diesen Hurtig-Bubis schnurzpiepe.
    Hochhuth, in seiner nur schwach verborgenen, homophil unterfütterten Anbetung «großer Männer» (ob Papst oder Churchill oder Hemingway, ob positiv oder negativ – immer kniet er – oder speit er – vor einem Ledig, Adorno, Curd Jürgens gar) – Hochhuth verehrt ja den Herrn Jünger. Der setzt ihn auf seine Gästeliste zur Feier dieses grotesken 100. Geburtstages – und, ganz «Kamerad», Rückgratmensch und tapferer Krieger, duldet es schweigend, daß die Ministerpräsidentenkanzlei den Namen Hochhuth streicht – wegen Filbinger.
    Woraufhin nun der seinerseits charakterstarke Hochhuth nicht etwa grollend fernbleibt – sondern sich den Eintritt erschleicht als «Korrespondent» irgendeines Magazins. Zwei aufrechte Männer grüßen einander …
    25. Mai
    Gestern abend Gespenster«sonate» mit Platschek, der uralt, klapperdürr und nun nicht mehr amüsant-irre, sondern banalgreisenhaft-meschugge geworden ist; ein dürres Männlein, noch immer von «den Weibern» faselnd, die ihn verfolgen, weswegen er sich in Montevideo (wieso er da ÜBERHAUPT eine Wohnung hat, angeblich gekauft, in Wahrheit gewiß von Muttern geerbt) ein so schmales Bett gekauft habe («Sie wissen doch, wenn die Weiber ein breites Bett sehen …»), aus dem er prompt rausgefallen und sich ich weiß nicht was gebrochen hat; den steifen Schwanz gewiß nicht …
    Er ist so dürre, daß er die Hosen immer hochziehen muß und der Gürtel offenbar kein so eng passendes Loch mehr hat, er trinkt kaum, raucht NUR – und kotzte im Restaurant das Essen auf den Tisch und sich voll. Dieser freundlich-skurrile, SEHR gebildete und begabte Mann – nun nur mehr die Silhouette einer Horrorfigur. Dies im Kopf, rief Wunderlich heute morgen an, um mir zu erzählen, daß Horst Janssen zum lallenden Idioten regrediert ist, hirnlos im Rollstuhl, in dem er, niemanden erkennend, unter sich scheißend und pissend, acht Stunden am Tag Kinderlieder singt. O mein Gott, wie wird man selber enden. Wird man die Kraft haben, es vorher «würdig» zu beenden? Nur: wie und womit? Insulin spritzen? Aber ich weiß gar nicht, wie man sich selber eine Spritze verpaßt.
    Hôtel Le Littré, Paris, den 1. Juni
    Ich bin mit meinen 63 Jahren noch manchmal eine Energiebombe, rase von Rodin zu Chagall, vom Louvre zu Brancusi (im Pompidou), vom Flohmarkt zum Louvre des Antiquaires, vom Musée Marmottan zur Orangerie mit meinen geliebten Seerosen von Monet – und URTEILE auch: Brancusi fand ich enttäuschend, doch nur eine Modeerscheinung, quasi ein Witz, aber keine Kunst. Geradezu erschütternd in seiner genialen Größe dagegen der noch-nicht-niedliche frühe Chagall der russischen Jahre: Man bekam fast einen Herzanfall vor so viel geballter Schönheit, und den «Cyklisten» von Maillol, den ich schon vor unendlichen Jahren mit einem Flirt in Kopenhagen sah, will ich gar HABEN.
    Beeindruckend die Begegnung mit Arthur

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