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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Rabe wirkt, dem die Schwingen geknickt sind. GANZ sind sie wohl nicht geknickt, denn er schreibt wieder, hat schon über 200 Seiten vom neuen Roman, der ja am Neujahrsmorgen in Portugal nach meinen «Ermahnungen» begann. Immerhin – seine Kraft ist bewundernswert, wie er sich in einer, trotz der 7 Zimmer zu engen, letztlich unkomfortablen Wohnung (allein 4 Schlafzimmer wegen der 3 Söhne) einfach an den Tisch setzt und weiterschreibt.
    Es war ein Chaos aus unausgepackten Kartons, Söhnen, vollen Aschbechern, Straßenlärm (so laut, daß man sich kaum unterhalten konnte – wie kann man allein deswegen so eine Wohnung nehmen …), Handwerkern und einfach ohne Anmeldung so hereintröpfelnden Besuchern. Boulette mit Karotten, dazwischen schmatzende Gören mit Fanta-Flaschen, das Ganze an einem Küchentisch.
    Aber merkwürdig (bißchen ähnlich war’s ja auch in Portugal), das Ganze hat eine sehr menschliche, sympathische Atmosphäre, ich fühle mich dabei, obwohl doch so etepetete, überhaupt nicht unwohl, im Gegenteil. Und Grass eben doch sehr freundschaftlich, immer wieder teilnehmend an meinen Problemen.
    16. August
    Vorgestern letztlich deprimierender Abend bei der Gräfin Dönhoff mit «1. Bürgermeister» Dohnanyi, Grass, Wunderlich und mir wegen der Stiftungsidee.
    Zuerst 1 Stunde nur SEINE Sorgen beim Regieren der Stadt, was uns 1. weiß Gott nicht interessierte, wofür er 2. bezahlt wird; man will ja auch nicht die Sorgen der Müllabfuhrmänner hören. Unser Anliegen muß ihm tief innerlich fremd sein. Obwohl ein für Politiker relativ gebildeter Mann, der offenbar gern in Museen geht, auch oft im Theater zu sehen ist und so entlegene Sachen weiß (die ich nicht weiß), daß Schiller in Oggersheim die RÄUBER geschrieben hat (der Ort also nicht NUR durch die Geburt des Herrn Kohl verunziert ist): Er richtete ni EIN Kompliment an Grass ni an Wunderlich à la: «Ich bin ein Bewunderer Ihrer Werke …» Dann ist er’s entweder nicht oder zu arrogant, es zu sagen. Am Rande der Unhöflichkeit.
    Unsern Plan will er durch so viele Siebe rühren, daß zum Schluß wahrscheinlich ein Eisenbahnmuseum dabei rauskommt: zurück bis Heine (der Nachlaß ist aber von Pompidou für Frankreich erworben worden, also garnicht zu haben) und voran bis Augstein und Springer. Nun will ich aber nicht mit Augstein und Grass nicht mit Springer und Wunderlich mit keinem «verewigt» werden.
    En bref: Das Ganze wird nix. Gut, dann eben nicht. Nur: Es war SO nicht gedacht. War ausnahmsweise weniger eine Idee der Eitelkeit, des Sich-Verewigens, als des sozialen Empfindens: Kunst in Privathand ist doch eigentlich nur Leihgabe auf Lebenszeit.
    Wenn das Ganze doch bei besserem Essen beerdigt worden wäre. Aber die Abende bei der Gräfin (ist sie nun geizig oder tatsächlich so unkultiviert?) sind ja immer ein Cauchemar, was das Lukullische betrifft: ein Eiersalat mit Thunfischkonserve und rote Grütze aus Suppentassen, als habe sie nicht mal Kompottschüsselchen. Dazu 3 – drei! – Flaschen Wein, jedesmal eine andere Sorte und hinterher Schladerer Kirschwasser. Selbst Grass, der nun nicht Messerbänkchen und Dom Pérignon fordert oder gewohnt ist, sagte hinterher im Auto: «Bewirtet denn die Frau auf so einfältige Weise ihre vielen internationalen Gäste?»
    Wütend im Anschluß noch zu mir, wo wir uns, mehr frustriert als hungrig, auf dicke Schinkenbrote stürzten.

1985
    6. Januar
    Die lange Schweigepause hat vor allem mit der vielen Arbeit der letzten Monate zu tun, mit der herrlichen, aber anstrengenden Pyrenäenreise, über die ich ja öffentlich Tagebuch führte, und all dem anderen: Im Grunde findet mein Tagebuch ja in der Zeitung statt, jedenfalls die wichtigeren Dinge – ob ich nun eine Woche in New York war oder ein Interview mit Kundera in Paris machte: alles gedruckt. Nicht festgehalten die Zwischentöne – das will ich nun wieder versuchen. Die kleinen Erfahrungen, Verletzungen, Verwunderungen (und Verwundungen) – ob nun ein skurril-lebhafter Abend mit und für Hrdlicka (von Beginn an mit Strömen Vodka betrunken), an dem sich Kempowski nicht ins Nebenzimmer «traute», denn da sitzt ja «Grass», oder ein Riesen-Abendessen für Enzensberger (der eine verspielt-vertänzelte «Blattkritik» in der großen Konferenz der ZEIT macht), bei dem sich eben noch vereinsamte Literaten auf- und übereinander stürzten wie weiland in der Gruppe 47: Kunert auf Rühmkorf und Grass auf Enzensberger und Lenz auf die Dönhoff und Hochhuth

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