Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
auf alle (nebenbei immer seine kleinen Geschäftchen machend); nur Wunderlich saß etwas erstaunt (und wohl auch befremdet – zu viele andere waren Mittelpunkt) dabei. Also soll künftig wieder regelmäßig festgehalten werden – auch, wenn Gaus mir groteske Sachen von Kohl erzählt, der ihn auf dem Höhepunkt der Botschaftsbesetzungen (heimlich) zur Beratung empfing – in Pantoffeln («Marscherleichterung» nennen das die Militärs – typischerweise auch die Politiker) und in den zu kurzen Helanka-Söckchen schwadronierend, ob Präsident Reagan mit seinem Witz, die USA hätten soeben die Sowjetunion angegriffen, nicht doch einen tiefen Wunsch vieler Menschen ausgesprochen habe … Trauer um Erich Arendt, den so langjährigen Freund, den ich mochte, der gar zuzeiten eine Art Lehrer war – und der nun verscharrt liegt neben Brecht und Becher und Hegel und Zweig. Aber sein Grab (ich habe Gerd mit Blumen hingeschickt: «Dem abgereisten Vaganten – der dagebliebene FJR»; er hieß immer Vagant bei uns, nannte sich in allen Briefen so), sein Grab war nicht zu finden, kein Stein, kein Name, keine Blume. Gerd mußte eine Stunde suchen und Einheimische fragen. So endet man? Und kein Mensch weiß, wer sein Urheberrecht geerbt hat – ein Brief von mir cc an Grass, an die Akademie wurde nicht mal beantwortet (ICH will da nun wahrlich nix, will nur Wächter sein); niemand weiß, wer wann was für eine Edition macht. Grauslich. Wie wird das denn mal bei mir – – wer wird der Raddatz von Raddatz? Soviel Glück wie Mary (die ich im November besuchte, SEHR alt, fast gaga, wußte nicht mal, was – und wo – ihr Erbvertrag ist – die Basis der gesamten Stiftung; von der sie erwartet, daß ich sie umsonst leite). Ein anderes Thema – soviel Glück werde ich nicht haben. Vernutze ich nicht meine endgültig letzten Jahre in dieser Zeitung, wo ich ja nicht als Autor, sondern als Chef engagiert bin, als «Papa» von 8, wenn nicht verrückten, so doch höchst störbaren, eifersüchtigen, schwierigen Redakteuren; als Redakteur fremder Texte, an deren Präsentation, Kürzung, Aufmachung, was weiß ich – ich meine Phantasie wenden muß, Fichtes Platen-Essay 8mal lesen (prüfen, korrigieren, kürzen, Korrektur lesen etc.) – was geht MICH das eigentlich an? In der ZEIT schreibe ich ja was Eigenes. Heute abend Paul Wunderlich und Karin, «Welcome-back-home»-Dinner, wird sicher schön. «Unterfüttert» allenfalls von meinem, ja, was nun: Neid oder was, wie mühelos sich andere auf irgendwelche Stühle schwingen – der flanellen-wendige Herr Naumann auf den des Rowohlt-Chefs oder Felix Schmidt als Chef der HÖRZU (was ich nun wahrlich nicht wollen wollte). Ich werde nur noch UM RAT gefragt: von Mohn, wer ihm einen literarischen Verlag leiten könnte; von der Kultursenatorin, wer Intendant des Schauspielhauses werden könne; von X, wer den Rowohlt Verlag leiten könnte – – – – nur MICH zu fragen, darauf kommt niemand. Plärrerei, Herr Raddatz? NUR gekränkte Eitelkeit – oder auch steigendes Gefühl von «nicht gesellschaftsfähig»??
24. Januar
Dienstag abend merkwürdig gespenstischer Abend: zum Essen mit Gaus, Lea Rosh und Kempowski, die den – ENDLICH – aufhörenden Momos ersetzen sollen. Sommer kam nach dem Essen hinzu, und Gaus fiel förmlich über ihn her, ungebremst, nicht inhaltlich, sondern ad personam (so, daß Sommer schweigend ging): Eigentlich sagte Gaus nur in höchster Erregung, und 30 Minuten lang, den EINEN Satz: Du bist Chefredakteur und ich nicht. Seine Eitelkeit ist nicht die putzig-kindhafte von Mayer, bei dem’s ja immerhin noch um das «Machen von etwas» geht, sei’s nun ein Vortrag, ein Buch oder ein Essay; die Gaussche ist nur auf Macht respektive den ihm offenbar nicht verdaubaren Verlust von Macht konzentriert und dadurch ganz unerträglich. Er beginnt jeden 2. Satz: «Als ich noch Leiter der Ständigen Vertretung war …» oder: «Als ich mit dem russischen Botschafter aß …» oder: «Als ich mit dem englischen Attaché ausritt …» Da wir bei CÖLLN saßen, hieß es zwischendurch auch: «Als ich noch Chefredakteur des SPIEGEL war und hier oft mit Strauß aß.» Es ist ihm deutlich nicht genug, NUR Buchautor zu sein, obwohl dort sogar erfolgreich, und Fernsehmoderator. Er will einen Schreibtisch, eine Sekretärin und ein Diensttelefon: «Ich verbinde mit Herrn Gaus …» Und ich? Wie ginge es mir, säße ich da nicht mehr? Mal abgesehen von finanziellen Dingen – wie würde ich
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