Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
sich Ihr gestohlenes Eigentum wiederholen»), nur ein müdes Achselzucken geerbt habe. Wie würde man selber reagieren? So. Heute abend Dohnanyi. Was er wohl will? Wird bestimmt ein verlorener Abend.
13. Februar
Abends Dohnanyi. Bin mir nicht klar, ob er mir nicht «eigentlich» unsympathisch ist: Er zieht zwar in der Bibliothek – vor dem Lukács-Regal stehend – spontan einen Band Béla Kun heraus, weiß, wer das war, sucht im Index nach seinem Großvater, der da involviert war – aber er schmiert sich bei Tisch eine «Stulle» (die er zusammengeklappt aus der Hand ißt) mit dem Fischmesser. Das Gespräch interessant und sehr intelligent, wo es um (eine möglichst neue) politische Moral ging, um Chancen der SPD, wenn sie die neuen Probleme er- und begreift; albern Gaus-haft, wo er sich lobt («Ich bin der Mann mit dem besten Gedächtnis der Welt»), und zwar kennerisch, aber flach, wo es um Kunst geht. Unsere schöne Museums-Idee wird nichts, meine «Sammlung» fand er «nett», aber deutlich auch unbedeutend, zufällig – eben keine Sammlung. Vielleicht hat er recht? Die Sachen kann ich also ohne Reue verkaufen (wenn ich’s «kann»; kann ich aber nicht …). Dohnanyi setzt dagegen seine Archividee, die mich nicht sehr interessiert; denn das von mir beschriebene Papier ist ja ohnedies «da» und bleibt.
Noch Februar
Eine Woche Venedig und Zürich. Venedig ein angeblich «wichtiger» Kulturkongreß. Gräßlich. In was für ein RECHTES ESTABLISHMENT ich da geriet: Lasky und Scheuch und der nun vollends grausliche Reich-Ranicki, der buchstäblich nicht ein Wort, nicht einen Satz über ein Buch, ein Gedicht, irgendeinen Inhalt reden kann; es geht wie ein Wasserfall nur um Literaturklatsch, wer über wen was gesagt hat, wer durch welche Intrige welchen Preis kriegt und vor allem: was er wann und warum, welchen Artikel abgelehnt, gekürzt, bestellt, zurückgeschickt hat. Die guten Manieren wollten es, daß ich mich (jovial?) unterhielt – aber der Mensch ist zu stumpf, um zu merken, daß Höflichkeit sehr schneidend sein kann. Zürich war eher flach, auch eisig. Muschg nett, aber erklärte, er müsse für die Swissair-Bordzeitung einen Fernsehfilm ansehen und daher gleich wieder weg; wir hatten keine 1 ½ Stunden – eigentlich eine Frechheit, zumindest Ungehörigkeit. Sehr berührte mich ein Satz; erzählte, daß er hier in der Kronenhalle «immer im Kriege mit meinem Vater» gesessen habe – mein Gott, wo haben wir mit unseren Vätern im Kriege gesessen: im Bunker, im brennenden Berlin, im Hunger und Dreck, egal, daß «wir» es ja auch verschuldet hatten – es kommt einem schon merkwürdig vor, sich vorzustellen, wie satt und warm und wohlig die da lebten. Kann so jemand unsereins überhaupt verstehen mit den spezifischen Wunden und Schwären lastender Erinnerungen?
16. Februar
Schöner, reicher Abend mit (und für) Grass, der erstmals – übrigens auch für Ute – aus seinem Buch las. Vor dem Essen, 1 Stunde; dann schönes, üppiges «deutsches Essen» und noch «Nachlese», alles zusammen bis 3 Uhr morgens. Für solche vollen, harmonischen Abende (z. B.: mit Paul und Karin Wunderlich und Gerd) kann man dankbar sein, kein Bla-Bla, wirkliche Gespräche und schönes gegenseitiges Vertrauen. Der Text scheint mir ungleichmäßig, kraft- und phantasievoll, wo unrealistisch, und platt, wo er nur beschreibt bzw. – 50er Jahre als bloße Nierentischzeit – karikiert. Werde versuchen, ihm das zu sagen. Welch ein Unterschied zu irgendeinem kakelnden «diner blanc …». Marginalie: Obzwar bei mir, dem Junggesellen, so oft und stets reichlich bewirtet: Sein Litho «Bölls Schreibmaschine» bringt Grass nicht als Gastgeschenk mit, sondern will 600 Mark. Der Kolonialwarenladen ist nie verlassen worden …
13. März
Hatte buchstäblich vor Zorn über diese Bucerius-Replik in Sachen DAS BOOT nicht geschlafen, die ganze Nacht zuvor. Auch, weil ich mich schäme: Muß ich mir wirklich derlei gefallen lassen, muß ich gar noch den Sonntag, also einen Tag zuvor, in seinem (piefkigen) Haus zu Abend essen, mir von ihm Wein servieren lassen wie ein Kutscher? Widerlich, diese Puntila-Matti-Situation und diese falsch-feine, pseudo-englische Art, an einem langen Abend in seinem Haus («Wahlparty») kein Wort zum «Thema» zu sprechen. Es hat etwas Unehrliches an sich – und auch etwas Herablassendes; mit dem Personal streitet man sozusagen nicht, das bekommt zum Nikolaus sein Marzipan – und ansonsten Schriftliches. Ich
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