Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Mann KANN ja schreiben, und selbst seine extrem andere Ansicht sollte man doch zur Kenntnis nehmen. Mein kühles «Wir sind für die Generation, die jetzt die Macher sind, altes Eisen» hörte er ungern, wenn auch bejahend.
Lauter kleine, immer schwerer werdende Abschiede vom «einst».
Ähnlich, wenn auch anders, Freitag abend Hans Platscheks Besuch; diese Besuche von einem immer greisenhafter, immer dürrer und fahriger werdenden Freund sind rührend, müssen aber eingeschränkt werden. Es beschäftigt mich zu sehr, wie dieses rührende Männlein da sitzt, im Essen herumstochert, ohne etwas zu sich zu nehmen, keine Blume, knapp das neue HAN-Pferd sieht, geradezu gestört wirkt, wenn ich sage: «Sehen Sie doch mal – da ziehen 12 Schwäne unten vorm Garten vorbei» und immer wieder seine alten «Lacher» abzieht. Vor allem «Thema Nummer 1» muß immer noch herhalten: «Ich komme zu spät, Sie wissen schon, ich wurde die Tante nicht rechtzeitig los.»
Schrecklich, diesen noch immer eleganten Rest eines einst sprühend-eleganten Mannes da kauern zu sehen, dessen Witzchen ausgeleiert wie ein altes Gummiband sind – und der zugleich, ich wüßte keinen zweiten zu nennen, ein so hilfsbereiter Kollege ist: Er hat doch allen Ernstes nun bei seinem wieder anderen Verlag – EVA – so lange gebohrt, bis die Dame mir einen Interessenbekundungsbrief wegen meiner literarischen Essays schrieb. Das heißt zwar noch nichts – obgleich ich mich freuen würde, die diversen Majakowski-Rimbaud-Nietzsche-Virginia-Woolf-Texte «verbuchen» zu können: Aber Platschek werde ich das nie vergessen.
9. August
Magenhebend verzagt. Hübsch der – umgekehrten – Reihe nach: Komme eben von einer Art «Vorstellungsgespräch», d. h., ich war – auf Vermittlung des rührenden Hans Platschek – bei der «Verlegerin» Groenewold, deren reicher, linker Anwaltsehemann ihr die EUROPÄISCHE VERLAGSANSTALT gekauft hat. Dort, auf einem Stühlchen hockend, bekam ich ein Glas Wasser angeboten (nicht mal 1 Kaffee), und eher unlustig (oder gehemmt) sprach sie über meinen Plan, meine literarischen Essays zu einem Bändchen zusammenzufassen. Ich war in der Rolle des Vertreters, der beteuern muß, daß diese Zahnpasta aber sehr gut putzt. Schließlich «gönnte» sie mir ein Angebot, das nach der Eingangsbemerkung «Das ist doch alles für ein anderes Medium geschrieben» besonders abstrus ist: nach Abzug der Steuern weniger als 2 Monatsgehälter meiner Haushilfe! Unterstützt wurde dieses Angebot, über das nachzudenken ich versprach, durch den aufmunternden Satz: «Bald wird es gar keine Autoren mehr geben, für CD-ROM braucht man die nicht.» Nun weiß ich zwar nicht, was das ist – aber was für Aussichten das sind, das weiß ich. Der große und mächtige Rowohltverlag faßt meine Essays nicht mit der Kohlenschaufel an, Rowohlt-Naumann erklärte seinerzeit ungerührt: «Das läßt sich nicht verkaufen.» Fairerweise muß ich mir sagen, daß ich das Geld mit den Texten ja am Funk verdient habe, pro Essay doch mindestens 10.000 Mark, manchmal mehr, je nachdem, über wie viele Sender sie liefen. Dennoch, es bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
14. August
Gestern vor 34 Jahren war Mauerbau …
In einer der ZEITFreitagskonferenzen wurde vom Vortragenden der «Blattkritik», diesmal hervorragend gemacht von dem politischen Redakteur Christoph Bertram, zum Schluß eingeklagt, man wisse nicht mehr, für was die ZEIT eigentlich stehe, was ihr Herz, Hirn, ihre Seele sei. Sommer: «Das hatten wir 2mal – bei der Ostpolitik und im Feuilleton von FJR.» Jetzt sei eben die direkte Fortsetzung der Ostpolitik unklar. Ich intervenierte: Die direkte Fortsetzung der Ostpolitik sei die deutsche Einheit, und da sei das Defizit die Schwäche; es sei noch immer eine Zeitung für Düsseldorf oder Kassel, nicht für Halle oder Dresden.
Sommer gab mir recht, eine andere Redakteurin meinte, ich habe den Finger auf die Wunde gelegt. Und dann intervenierte der junge, ganz kundige Filmkritiker: Er sei es leid, mit anhören zu müssen, wie grauhaarige Ehemalige ihre kaputten Steckenpferde ritten. Ihn interessiere die deutsche Einheit einen Scheiß, «Thema» sei CD-ROM, Vernetzung, Digitalisierung; das sei unsere Zeit und ZEIT.
Transportsysteme ohne Inhalt. Das ist, was mich bedrückt: meine Art zu denken, Probleme zu sehen und zu lösen (versuchen), meine Form, mich zu artikulieren: vieux jeu.
Meina – Italien, oberhalb des Lago Maggiore, den 16. September
Der
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