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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ziemlich rasch: «Hast du das Buch vom Verlag bekommen?»
    Ich war etwas milder als vorgenommen (in Sachen Ranicki-Prostitution), weil er erzählte, daß er seit vier Monaten ziemlich schwer krank war/ist: Er hat Tucholskys Krankheit, vollständig Geruch und Geschmack verloren, und es rührte mich dann doch, wie er erzählte, was es heißt, Spargel zu essen, aber sich nur zu ERINNERN, wie der schmeckt, oder Flieder zu sehen, aber sich nur zu ERINNERN, wie der riecht.
    Es scheint ein Virus zu sein, den er nun mit Cortison bekämpft – das hilft, hat ihm aber ständiges Ohrensausen, eine Art latenten Hörsturz eingebracht.
    Das alles mag sogar mit der enormen psychischen Anstrengung dieses Riesenromans zusammenhängen, von dem er nicht zufällig behauptet: «Ich habe mein Letztes gegeben»: Knapp das Zielband erreicht, brach er praktisch zusammen. Normale Menschen werden eben nie verstehen, WIE ungeheuer unsereins er-, ja: AUSgeschöpft wird vom Schreiben. Ich erinnere mich – und ihn – an den grausamen, aber präzise-richtigen Satz von Hans Mayer nach dem Tode von Uwe Johnson (er starb knapp nach Abschluß seines vierbändigen Romans JAHRESTAGE): «Er hätte sich vorher nicht sterben lassen.»
    Jedenfalls habe ich schon jetzt – mag sein, die Lektüre enttäuscht mich dann – enormen Respekt vor der schieren Schreibleistung von Grass – und komme mir, wenn ich mein Herumgepople am eigenen Roman betrachte, wie ein Nicht-Schriftsteller vor. Auch, weil ich viel zuviel zwischendurch mache, hier mal nen Rimbaud-Essay, da mal ne Funksendung über die Thomas-Mann-Biographien und heute z. B. eine (mich sehr anstrengende) «Rezension» von Hitlers MEIN KAMPF. Fühle mich unbegabt und leichtgewichtig.
    Aus der Ranicki-Irritation habe ich dann allerdings am Telefon doch keinen Hehl gemacht, habe ihm auch gesagt, daß ich das unehrlich fände. Seine «Entschuldigungen» waren geschraubt und unaufrichtig: Man könne eine Einladung der jüdischen Gemeinde nicht absagen. Nein, das kann man wohl schlecht – aber man kann sagen: «Ich wünsche, von diesem Mann nicht vorgestellt und eingeleitet zu werden.» Nun ja.
    20. Juni
    Tausendste Fortsetzung zum Thema VERKOMMENHEIT DES KULTURBETRIEBS:
    Heute kommt die Nachricht, daß Cioran gestorben. Anruf einer mir unbekannten Dame aus dem Süddeutschen Rundfunk, atemlos: «Endlich habe ich Sie am Telefon» – als sei es meine Pflicht, auf Anrufe aus dem SR zu warten, «wir brauchen noch heute, ganz bald, ohne Manuskript gesprochen, etwas ‹Hochkarätiges›, um Schohran unter die Erde zu bringen.» Die Dame wußte nicht, von wem, und nicht, MIT wem sie sprach. Termine, Studio, Telefonleitungen – alles wurde in rasender Hast besprochen, bis ich in großer Ruhe sagte: «Ich möchte Sie nicht ironisieren – aber Sie haben nun unentwegt von technischen Dingen geplaudert, von Inhalten sowieso nicht – nur haben Sie EINES bisher nicht erwähnt: Was zahlen Sie eigentlich?» Stotterndes Schweigen. «Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, also, wissen Sie, Sie machen das doch aus dem Kopf, also, ich weiß nicht – vielleicht 200 Mark?»
    Helle Empörung, als ich darauf hinwies, daß das ja wohl irgendwie und irgendwann IN meinen Kopf hineingekommen sein muß, daß sie also ein Stück MEINER ARBEIT für ein paar Pfennige haben möchte und ob sie derlei ihrem Autoschlosser zumuten würde. Die Dame wollte gar mit mir diskutieren – ich lehnte beides kühl und rasch ab.
    1 Minute später stand eine andere Redakteurin in der Tür, SIE müsse was zu Ciorans Tod schreiben, sie kenne ihn aber gar nicht und sein Werk auch nicht, ob ich ihr ein paar Stichworte geben könnte, wie er gelebt: «Der hat doch immer im Hotel gewohnt» (NIE hat er im Hotel gewohnt) und bitte etwas Kurz-Griffiges. MICH um den Nachruf zu fragen – auf die Idee kam sie nicht.
    Mein süßer Cioran. Wieder einer weniger. Gerade dieser Tage haben wir von ihm gesprochen, neulich noch in Paris, uns an den bizarren Abend erinnernd, wie ich vor Jahren ihn und meine Schwester in Paris zum Essen einlud, er – wie immer – leidend «Ich kann gar nichts essen» seufzte – aber, der homme-à-femmes , von meiner Schwester so bezaubert war, daß er bei jeder Bestellung die Augen verdrehend sagte: «Ach, DAS essen Sie» – um dann vom Crevetten-Cocktail als Vorspeise über große «plats principals» bis zu üppigem Dessert alles mit- und nachzubestellen, voller behaglichen Seufzens.
    Er war ein genießerischer Pessimist, der

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