Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
mal»), mich aber schockierte das bis zum Appetitvergehen.
Dabei habe ich dem Mann nichts zu danken; der mich nach Anfangseuphorie («Ich wünschte, Sie schrieben mir allein das ganze Blatt voll»; den handschriftlichen Brief habe ich aufbewahrt) nicht leiden konnte, der mich und meine Arbeit verfolgte und schließlich genußvoll meinen «Sturz» betrieb, was er wiederum später bereute; als Zeichen dafür erschien er, gerade von einer schweren Operation sich erholend, auf dem Empfang, den weiland DIE ZEIT zu meinem 60. gab.
Wie immer. Ich glaube, ein großer Mann – als der er nun gefeiert wird – war er nicht, mehr ein gerissener, doch wesentlich der Vorstadtadvokat, kein eleganter Kopf, mehr ein verbissener, auch zu seinem eigenen Vorteil andere – vom ersten Miteigentümer bis zu Henri Nannen – wegbeißender, rechthaberischer Mann. In Nachrufen heißt es dann: «Er ging unbeirrbar seinen eigenen Weg.» Wohl wahr – nur liegen am Rande dieses Weges, der für IHN so erfolgreich war, auch eine ganze Menge Leichen. Selbst den Satz «Er hat DIE ZEIT gemacht» muß man gerechterweise überprüfen – GEMACHT haben DIE ZEIT die Schreiber und Redakteure (denen er, als einziger namhafter deutscher Verleger, jegliche Altersversorgung verweigert hat); bei einem Privatvermögen von 1 ½ MILLIARDEN DM. An sich kein Notfall.
30. September und 1. Oktober
Die Windsbraut ist also vorübergezogen: das große Liebermann-Fest – mit fast zu vielen Gästen. Mit aller Mühe konnte ich die Wohnung so um-arrangieren, daß jeder einen Sitzplatz hatte. Das ulkige an solchen Festen ist nicht, daß es – obenhin betrachtet – alles recht zivil, leise und höflich zugeht, man denken könnte, die Gäste delektieren sich am Champagner, den Köstlichkeiten des Buffets und den Weinen, sondern: daß es Spiegel der Gesellschaft ist, zu deutsch, es von Intrigen, kleinen Gemeinheiten und Eifersüchteleien wabert. Wapnewski sagt: «Was für ein herrliches Fest, was für herrliche Delikatessen, was für herrlicher Champagner – nur schade, daß all diese Leute da sind»; die dicke Sängerin, angeblich der große «Star», in Wahrheit ohne Engagements, zankt sich mit Frau Liebermann eben wegen der Nicht-Engagements, z. B. in Hamburg (als hätte Mme. Liebermann was damit zu tun); der Herr Kunsthallen-Ex-Chef Hofmann entschuldigt sich orientalisch bei Wunderlich, der seinerseits fragt: «Für was eigentlich?», das aber genau weiß: weil nämlich NIE eine Wunderlich-Ausstellung in der Kunsthalle war und seine Bilder dort ins Depot gewandert sind; Kempowski, der Spießer, der gegen und über alles ironisch sein kann (in seinen Büchern), nur nicht gegen sich selber, verläßt beleidigt das Haus, weil ich über seine häßliche Krawatte gespottet habe – so ging der Plumpsack munter um.
Wobei nachzutragen noch eine kleine Groteske am Rande der offiziellen Liebermann-Feierlichkeiten: vergangenen Freitag – als «Ehrengast der Staatsoper» – beim Konzert. In der Reihe vor mir Hans Mayer. Denke: Ach wie gut, VOR mir. Da kommen Leute – er sitze auf einem falschen Platz –, bereits tief beleidigt: «Man hat mich hierher geleitet.» (Wer denn? Die Königin von England?) Er kann nicht zugeben, sich geirrt zu haben – und landet, muffelnd und meckernd, auf dem Platz – neben mir!! So brachten wir das Kunststück fertig – Bouvard und Pécuchet verkehrt herum –, einen ganzen Konzert-Abend hindurch nebeneinander zu sitzen und uns «nicht zu sehen». Mein kleiner Versuch zur eleganten Lösung – ein «Bitte nach Ihnen» bei Beginn der Pause – wurde nicht gehört, ich nicht gesehen. Dann also nicht, so sah auch ich ihn nicht mehr.
Beim Empfang fragte mancher: «Wo ist denn Hans Mayer?»; er war geflüchtet. 2 Tage später, beim großen «Frühstück» – will sagen Lunch – im Rathaus, erzähle ich das Flimm, der sich totlachen wollte, sagte: «Das ist eine Theaterszene, die stehle ich dir» und vorwegnehmend sich amüsierte: «Paß auf, nachher bei Tisch sitzt ihr wieder zusammen.» (Das Protokoll denkt offenbar: «2 Literaten …») Ich bekomme meine Plazierungskarte: Meine Tischdame ist die Kultursenatorin – – – und neben ihr sitzt Hans Mayer!!! (Rufend: «Ich bin neben die Senatorin gesetzt worden» – was ja nicht mal stimmte, denn die war ja MEINE Tischdame.) Mir war das denn doch zu dumm, ich mochte die Christina Weiss nicht als «Mauer» benutzen, erzählte ihr aber rasch die Geschichte des Vor-Abends und daß ich bis
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