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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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zwar «wußte», daß Notre-Dame bald eine Moschee sein wird – aber dennoch gerne in Paris flanierte und der zwar den Untergang der Welt prophezeite, um nicht zu sagen herbeisehnte – der aber, als ich ihn mal besuchte, sich über Krankheit und Fast-gestorben-Sein beklagend, auf meinen Einwand: «Aber das wollen Sie doch – selber untergehen und mit Ihnen gleich die ganze Welt», leise lächelnd replizierte: «Aber doch nicht so rasch, mein Lieber.»
    Nun war’s also, wie es bei uns allen mal sein wird, doch «rasch».
    Adieu, mein lieber alter Cioran.
    Nachtrag 21. Juni
    Eben meine Schwester zum Flugplatz gebracht – da stand ein weinendes altes Hühnchen, klein, schüchtern, armselig: Ich war zu Tränen gerührt. Sie ist eine Klafte geworden – aber ich hänge eben doch sehr an ihr. Wer weiß, ob man sich noch einmal sieht …
    8. Juli
    Depression.
    Nicht direkt meine Laune hebend der gestrige Besuch des Grünen-Politikers Joschka Fischer in der ZEITredaktion. Bei seiner höchst oberflächlichen Blattkritik ging er über das Feuilleton mit der Bemerkung hinweg: «Kultur ist nicht mein Ding.» Darauf ergab sich in der anschließenden Diskussion ungefähr folgender Dialog:
    FJR: «Wenn ich ein Aperçu von Ihnen – Pardon für das harte Wort – mal ernst nehmen darf: Sie sagten mit größter Nonchalance, Kultur sei nicht Ihr Ding. Ich finde dieses mit der, in diesem Fall wohl: linken Hand Wegwischen von Tradition, von Theorie, von Denken, von Inhalten lamentabel. Ich will Ihnen nicht unrecht tun und Sie mit Churchill oder Mitterrand vergleichen oder daran erinnern, daß de Gaulle das befreite Paris mit einem Gedicht von Aragon begrüßte. Ich erwarte auch nicht, daß Sie hier Rilke aufsagen oder mit Handke statt mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen – aber …»
    Joschka Fischer (unterbricht): «Ich kann sogar Gedichte auswendig.»
    FJR: «Um Gottes willen, bitte nicht. Es ist bestimmt DIE GLOCKE.»
    Joschka Fischer: «Aber zum Kern. Es stimmt, ich habe mit Kultur nichts am Hut. Ich war noch nie in der Oper. Ich gehe nicht ins Theater, nicht in Konzerte. Ich lese ein bißchen. Ich finde es ehrlich, das zuzugeben. Erst gestern habe ich mit einem der berühmtesten zeitgenössischen Maler gesprochen – ich habe seinen Namen vergessen.»
    FJR: «Und es geniert Sie nicht, zwar die Gesellschaft umbauen zu wollen, aber ausschließlich in Termini wie Hammelsprung und Wählerverhalten, Mehrheitsbeschaffung und ‹Politik ist in erster Linie Personalpolitik› zu reden?»
    Joschka Fischer: «Nein, warum sollte mich das genieren. Das ist mein Alltag.»

    Feist, aber leer.
    13. Juli
    Rudolf Augstein will den großen, neben seinem Riesenbesitz gelegenen Besitz von Brigitte Bardot in Saint-Tropez kaufen: Die Hunde stören ihn.
    Dazu ist anzumerken: Mit großem Vergnügen habe ich die im SPIEGEL vorab gedruckte Axel-Springer-Biographie des Ex-STERN-, Ex-TEMPO-Chefs Jürgs gelesen. Nicht nur wegen vieler absonderlicher Details, etwa des Religionsticks, um nicht zu sagen religiösen Wahns des Zeitungstycoons – er fuhr mit gepanzerter Limousine ins Kloster zum Beten oder per Hubschrauber ins extra dafür errichtete Chalet hoch oben in den Schweizer Bergen zum Meditieren; nein, vor allem hat mich die eklatante Parallele zu eben jenem SPIEGELchef amüsiert, ein (verglichen an Auflage und Vermögen) «kleiner» Springer. Ob nun die diversen Herrensitze, Häuser und Anwesen (z. T. möglichst in der Nähe, nämlich Sylt)!; ob nun die 4 Ehen und zahllosen Affären und das Nicht-oder-nur-wenn’s-paßt-zur-Kenntnis-Nehmen der diversen Kinder aus den diversen Ehen oder auch der cäsarische Größenwahn, mit dem mit den Mitarbeitern umgesprungen wird.
    Der eine eine Art Mystiker, der andere Alkoholiker – nette Typen, die uns die Welt erklären, wenn nicht gar verbessern wollen.
    16. Juli
    Kleine Fixierungen. Vergangene Woche – erstaunlicherweise auf SEINEN dringenden Wunsch – ein Mittagessen mit Günter Gaus, der erstmals seit langem nicht bramsig war, eher kleinlaut, resigniert, bescheiden, davon sprach, wie einsam es um ihn herum geworden sei, und deutlich traurig war, als ich nebenbei (nur, um meine Entfernung von Grass zu erklären) erwähnte, daß der und Rühmkorf und Bissinger bei mir zu Silvester waren. «Wieso war ich nicht dabei?» stand deutlich in seinem Gesicht. Und: «Wieso werde ich nie und nirgendwo um einen Artikel gebeten?» sagte er ganz unumwunden – was ja auch in der Tat absurd ist, denn der

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