Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Doppelschock bei meinen Freunden, den Maler-Fürsten: Sie malen gar nicht mehr. Hier sitze ich den 2. Tag bei Valerio Adami – den ich mag, dessen Bilder ich schön finde und über die ich schreiben will; übrigens in einem mäßig bequemen «Bungalow», an dem das Schönste der Blick auf den See ist und wo im Bad kein Handtuchhalter sich findet – und sehe zu im Atelier. Was sehe ich? Seinen ziemlich dummen, wenn auch 4sprachigen halbschwulen Assistenten – der die Bilder malt. Adami sagt ihm zwar, wo er welche Farbe auftragen soll, aber malen tut der!
Sie sind eigentlich nur noch Bild-Regisseure, Ideengeber, Umriß-Zeichner. Gemalt sind die Bilder nicht mehr von ihnen. Sie sind Fabrikanten eines erstmals von ihnen entwickelten Modells geworden.
Ansonsten – wieder mal auf unbequemen Stühl’chen – sitze ich hier in Mißmut, ein weiteres Mal (wie ein Teenager ohne Erfahrung) hereingefallen auf das dringende: «Du mußt uns besuchen.» Zu seltsam, warum all diese vermögenden Leute zwar Gäste herbeizwingen und auch irgendwelche Gästezimmer haben – aber kaum Komfort bieten –, so hier: zwar ein dramatisch in den Boden gelassenes Bad mit Blick auf den See, aber kein Kleenex, kein Zahnputzbecher und kein Handtuchhalter; von auch nur einem Sessel, in dem man lesen kann, zu schweigen. Ein Eisschrank, aber nichts drin («Wir frühstücken nie»), ich muß morgens im Haupthaus herumschleichen und eine Scheibe Brot suchen; als ich eben, 20 Uhr abends, hinüberschlich, in der Hoffnung, es gäbe einen Drink, bald Essen, saßen zwitschernde Weiber in der Küche, und ich bekam einen – Tee angeboten! Dies ist das allerletzte Mal, daß ich irgendjemandes Haus-Gast bin, ich brauche meinen kleinen Komfort (den ich übrigens meinen Gästen – bis zum Schuhanzieher – wesentlich entwickelter gebe) und meinen Rhythmus. Warum muß ich mich mit 65 Jahren zum Mittagessen zwingen, wenn ich nicht Mittag essen will?
Meina, den 17. September
Nach erstem langen Interview-Gespräch mit Valerio Adami (das interessant und intelligent war; nur: Warum giert ein weltberühmter und vermögender Malerfürst nach dem Klein-Ruhm der ZEIT?) schöne kleine Beobachtung: Wenn er sich (der a-sexuell lebt) als Asketen betrachtet, klingt das in seinem Akzent-Französisch wie achète – kauft!
30. September
Heute abend mein großes Diner zu Ehren von Rolf Liebermann – und zugleich die Frage: WARUM MACHE ICH DAS EIGENTLICH? Ca. 30 Leute, die, nachdem sie meinen Champagner getrunken und mein köstliches Buffet leer gefressen haben, schlecht über mich reden werden.
Rühmkorf ist doch tatsächlich in mein Badezimmer geschlichen (statt das Gästeklo zu benutzen) und hat sich dort auf ein Spickzettelchen – wie ein onanierender Schüler auf dem Klo – notiert, was für Hautcremes usw. ich benutze, UND das öffentlich gemacht (was nun genüßlich der SPIEGEL, der ja gern Klo-Geschichten druckt, aufgreift). Mal abgesehen von dem Umstand, daß es ja um Salben gegen meine HAUTKRANKHEIT, diese Flecken, die tapfer seit vielen Jahren zu verbergen ich mir Mühe gebe (das ist also so, als schriebe ich über Rühmkorfs Schlafzimmer, in dem ich ein Korsett gefunden hätte – ohne zu erwähnen, daß er eine Rückenoperation hinter sich hat) – wie widerlich ist diese Schlüsselloch-Guckerei. DAS ist doch nicht Tagebuch schreiben? Er kann sich ja gerne und meinetwegen kritisch mit Person und Autor FJR beschäftigen, aber doch nicht mit seiner Zahnpasta und seiner Präservativ-Marke?
Ein hochseltsamer, ich kann nicht einmal sagen bitterer Abschied: der Tod von Bucerius. Ich erfuhr gestern davon, als ich die Redaktion verließ, so gegen 18 Uhr, da war er wohl gerade gestorben. Was für ihn und seine Umgebung übrigens eine Erlösung gewesen sein muß, denn er war ja, was man im Volksmund «total gaga» nennt und was auf fein-medizinisch irgendwie Zerebral-Arthrose oder so heißt, das Gehirn funktionierte nicht mehr.
Dann aber das Merkwürdige: Wir gingen abends essen, meine beiden französischen Hausgäste und Gerd, ins Mühlenkamper Fährhaus. Ich hatte gleich ein paar Zeilen an die Buceria namens Hilde von Lang geschrieben und wollte sie am Leinpfad, also hier um die Ecke, durchstecken – da stand der Leichenwagen mit offener Verladeklappe vor der Tür. Das war dann doch ein sonderbarer, den Atem verschlagender Anblick – der übrigens meine beiden Berufsgenießer und Katholen überhaupt nicht rührte («Das ist eben so, so enden wir alle
Weitere Kostenlose Bücher