Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
heute nicht einmal weiß, WESWEGEN wir überhaupt verzankt sind respektive er sich mit mir für verfeindet erklärt. Niemand weiß den Grund. Also nahm ich mein Glas, stieß das seine – über die Frau Senatorin wegreichend – an und sagte: «Ach, Hans Mayer, wir werden es beide überleben.» Der dickköpfig-kindisch schmollende alte Mann hatte kein Wort, keine Geste, keine Pointe zur Verfügung – er stieß knapp und stumm mit mir an, das war’s. Nun, das war’s dann bei/mit mir auch.
11. Oktober
«Abschied von Gerd Bucerius»: Was ist das Gegenteil von Premiere? Eine «Derniere» ? Wie eine Mischung aus Generalversammlung der geballten deutschen Medienmacht, Premierenfeier und Cocktail jedenfalls wirkte das gestrige Staatsbegräbnis im Michel. Einerseits hat das die schön-steife hamburgische Würde mit Flagge überm Sarg (lag er da wirklich drin?) und Diener in Kniehosen mit weißen Strümpfen und Degen, die den Sarg hinaustrugen.
Andererseits eine «Ratsversammlung» der Mächtigen. Ich überlegte mir während der peinlichen Predigt – peinlich, weil nie jemand von kirchlicher Bindung dieses Mannes gehört hatte –, wie viele Milliarden da wohl versammelt waren: rechts von mir Schulte-Hillen, links vor mir (der gespenstisch häßlich, geradezu gemein aussehende) Augstein, links hinter mir Bertelsmann-Wössner, rechts hinter mir Herr Mohn höchstpersönlich – so ging das die Reihen der «Privilegierten» hindurch. Wenn man dann noch «die kleinen, privaten» Vermögen hinzuzählt – genau neben mir Gaus, ein paar Reihen davor Dohnanyi, weiter vorne Böhme, jeder von ihnen auch ein paar Millionen schwer und, rechnet man ihre Besitzungen zwischen Reinbek und Südfrankreich hinzu, sogar SEHR reich: So war es doch der wirtschaftliche Erfolg, der sich selber feierte. Grauhaarige Reiche saßen da und sangen (vorweg mit besonderer Inbrunst Augstein) lauthals «Befiehl du deine Wege …» und schämten sich – die doch wahrlich «das Regimente führen» – nicht, «Bist du doch nicht Regente/der alles führen soll/Gott sitzt im Regimente/Und führet alles wohl» zu trompeten. Regisseur müßte man sein. Es war ein DEFA-Film …
Ungern sage ich/«bescheinige» ich ihm das: Die einzig anständige Rede, in der auch mal das Wort Trauer vorkam, die von Herzen zu kommen schien (und wenn’s Routine war, dann ist es eben SEHR gute Routine), hielt Helmut Schmidt, während die Gräfin Dönhoff, mein Gott, was für eine kalte Frau, Archiv-Details vortrug, die ewigen Geschichten von den Juden, die Bucerius versteckt habe (HAT er? Ich habe nie einen gesehen oder gesprochen), und von der Pistole, mit der er den Kumpan Blumenfeld habe befreien wollen. Sie ist ein nicht-nazistisches BDM-Mädchen. Ihr Nachruf in der ZEIT geradezu perfide gleichgültig, abgeschrieben aus fotokopierten Archivunterlagen wie von einem Schüler der Gruner-&-Jahr-Journalistenschule; nicht EINE Regung, nicht EIN persönliches Wort (über IHN; über SICH schon: daß sie – eine Gräfin ist halt keine Angestellte – keinen Vertrag mit dem Verlag habe – wen interessiert das in DIESEM Zusammenhang, wen interessiert es ÜBERHAUPT?). Zum Fürchten. Das hält sie wohl für preußisch – man nennt es zu Recht Sekundärtugenden –: «Ein deutsches Mädchen weint nicht.» Die Nachkriegsvariante von «In stolzer Trauer!». Pfui.
15. Oktober
«Der Rudi ist in Ordnung»: so mein Automechaniker über Herrn Augstein; denn er betreut nicht nur seit 4 Jahrzehnten all seine Luxusschlitten – der Negersänger-Cadillac steht für viel Geld seit Jahren im Depot –, sondern auch die seiner 4 Frauen. «Ich kenne auch fast alle seine Freundinnen, mindestens 20», am schlimmsten sei gewesen, als sie mal die Autos und 2 Damen verwechselt hätten. «Daß er fast immer besoffen ist, stört mich nicht – neulich abend haben wir zusammen viele Flaschen Bier weggezischt.» Der Ruhm der Gosse.
Verwunderlich dann doch der offenbar tiefsitzende Minderwertigkeitskomplex dieses mächtigen Pressetycoons. Er vergißt buchstäblich in keinem seiner Artikelchen, «sich ranzumachen», eine Art Kellner-Perspektive à la «Den habe ich doch jahrelang bedient» einzubauen: ob eine Rezension der Genschermemoiren, er war natürlich sein «Freund», oder eine Replik auf Ulrich Klose: «Seine Tochter ist mein Patenkind», was ja nun im Kontext der Diätendebatte ÜBERHAUPT NICHTS zu suchen und zu sagen hat; ob in einer Polemik gegen Robert Leicht, in die er «die ZEIT, deren
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