Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
friedlich eingestimmt war durch mein (ehrliches) Kompliment für seinen SPD-Leitartikel dieser Woche im FREITAG und mein vehement geäußertes Unverstehen, wieso ein Mann dieser Feder in keiner großen Zeitung – z. B. der ZEIT – gedruckt würde.
Die Mit-Gäste allerdings verschwimmende Konturen: am absonderlichsten aber die «Gästin», meine Freundin Antje, mit der ich gleich mehrere Male an dem Abend vermählt wurde. Es geht darum, daß sie fast SOFORT und völlig ungebremst die absurdesten Sex-Geschichten erzählt, mit der eindringlich-schleppenden, keine Unterbrechung duldenden Stimme der Alkoholiker. Sagt etwa Gaus: «Kuby ist nach wie vor ein sehr guter Autor», bricht sie mit einem «Und ich bin sehr gut im Bett» ein – zum bleichen Entsetzen dieser wohl kaum mehr praktizierenden älteren Herren, gar des Pummelchens mit Brosche namens Frau Gaus.
11. Dezember
Fast schon Jahresende-Bilanz. So lange Tagebuchpause, weil in vollkommener Klausur am Henry-James-Essay, den soeben fertig. Enormer Arbeitsgalopp (nach dem großen Manuskript über den Spanischen Bürgerkrieg), weil dies ja der letzte der 6 Essays für das Buch LEBENFRESSER, das bereits im März erscheint (und noch ein Vorwort braucht). Atemlos, abgespannt und auch wieder «guter Dinge», daß das geschafft ist. Wobei interessant, daß man, kaum hat man was «gelernt» oder «begriffen» – in diesem Fall: Henry James’ Determinismus-Theorie, dem zufolge es in Wahrheit keinen Sprung in die Freiheit aus seiner «Klasse» heraus gibt; so wenig, wie Kommunisten aus ihrer Partei springen können. Wie man also so ein kleines Begreifen gleich umsetzt: Prompt gefiel mir gestern abend bei der Thalia-Premiere Hebbels MARIA MAGDALENE gut, fand es modern, weil eben der Meister Anton nicht aus seinem Wertesystem aussteigen kann.
16. Dezember
Werde ich ein Frauenfeind? Jedenfalls strich ich in der Harry-Graf-Kessler-Biographie, die ich in der Bahn nach Berlin las, seine Bemerkung (nach einer Begegnung mit der Frau des Kunstkritikers Meier-Graefe) an: «Das ist, was den weiblichen Geist entwertet; daß Frauen, auch die gescheitesten, immer auch mit dem Geschlechtsteil urteilen.»
Dabei BIN ich überhaupt nicht frauenfeindlich, im Gegenteil. Vorgestern in Berlin ein wunderbarer, wie immer traurigmilder (milde und traurig, weil wir noch heute denken: «Wären wir doch zusammengeblieben») Abend mit der Liebe meiner Studentenzeit, Ruthchen; angeheizt auch durch den Tod ihres Bruders, dem ich ein Epitaph im neuen Roman gesetzt.
UND dem Frühstück bei einer anderen Dame meiner Vergangenheit, Ursula – die ihrerseits sagte: «Am liebsten hätte ich mit euch BEIDEN gelebt» (Wunderlich und mir). Beide Frauen auf sehr verschiedene Weise zart, begabt, intelligent und taktvoll. Zum Lieben eben. Weswegen ich sie ja auch liebte.
Möglicherweise war ich besonders «weich», weil so sehr angetan von der Moskau-Berlin-Ausstellung, derentwegen ich ja nach Berlin gefahren war (als Belohnung, weil mit dem Henry-James-Essay 2 Tage vor Termin fertig): eine grandiose Inszenierung der Gleichzeitigkeiten, Widersprüche und Parallelen in Kunst, Theater, Architektur: atemberaubend. Ob die Gropius- oder Mies-van-der-Rohe-Entwürfe (mal für Berlin, mal für Chikago, mal für Moskau), ob die Bühnenbilder in Moskau für Brecht, haargenau ähnlich denen bei irgendeiner Piscator-Inszenierung, ob Burljuk-Bilder (er war der Entdecker von Majakowski). Die dasselbe sind wie Kirchner oder Schmidt-Rottluff, ob Filmplakate oder das allmähliche Sich-Verzieraten ins Niedliche, da ein Türmchen und dort ein Hammer-und-Sichel auf dem First (oder eben ein Hakenkreuz): Einen Essay könnte man schreiben.
Kampen, den 31. Dezember
Wie das Wetter trügen kann: heiterste Wintersonne bei Glitzerschnee und trockener Kälte seit Tagen. Aber in mir grau: bedrückend die vielen «Abschiede» des letzten Jahres, noch in diesen Tagen: Heiner Müller (mit dem ich zwar nicht eng war und dessen Arbeit der letzten Zeit ich hochstaplerisch fand) tot, Walther Killy – hier in Kampen! – tot; auch mit dem war ich nicht eng, aber er war «einer von uns», ein Herr, mit dem und dessen Interpretationen ich nie einig war, aber eben darüber mit ihm trefflich streiten konnte. Der nette Psychiater Dolf Meyer, bei dem kürzlich noch eingeladen: tot – und dazu das Jahr durch: Janssen, Hausner, Biha, Bucerius, Schorchi – es geht, mal eng befreundet, mal entfernt bekannt, quer durch das Alphabet.
Mit den meisten
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