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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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um so ein Bild zu besitzen!
    Daneben, im selben Grand Palais, «10 Jahrhunderte China» – die phantastischen vielarmigen Buddha- oder Seidenbilder. Bei uns saßen sie, glaube ich, zu der Zeit noch auf den Bäumen.
    Spaziergang in der warmen Herbstsonne, die immer schöner werdenden, immer royaler gepflegten Tuilerien hindurch zum Louvre, wo endlich wieder – schwere Arbeit – mein Lieblingsbild gefunden, Peruginos «Apollo und Marsyas», das sehr androgyn. Wie sich meine Augen doch nie täuschen – da es neben zwei Raffaels und im Raum mit Tizian und Leonardo, muß es ja wohl ein Wunderwerk sein. Beschwingt nach Hause, wo ich vor Kunsterregung keine Ruhe fand.
    Hôtel Lutetia, Paris, den 10. November
    Die ewige Lust – will sagen: Unlust-Kurve. Nach ein paar Tagen wird mir das Herumbummeln, Nichts-Tun, Flanieren, Café-Haus-Sitzen und Museen-Abgrasen zuviel; vor allem natürlich, weil alleine (und fast jeden Abend alleine essen!). Bereits umgebucht auf Abflug Montag früh.
    Wobei ansonsten alles herrlich – 2 ½ Stunden mal ganz in Ruhe das Quai-d’Orsay-Museum (mit großartiger Kopenhagener Sonderausstellung voll der großartigsten grünen Degas’ und ganz früher, unerotischer, gar nicht schaukelnder Gauguins usw.) regelrecht erwandert, Raum für Raum; u. a. «Le Cycliste» von Maillol «gefunden», den ich neulich im Maillol-Museum sah (und von dem ich mir einen Guß wünsche). Morgens das 1. Mal die «Collection Permanente» im Pompidou, wo ansonsten geradezu kriminelle Sonderausstellung «Feminin – Masculin» mit auf «das Glied» reduzierten einschlägigen Darstellungen, die in dieser Einseitigkeit widerlich und willkürlich – da hätte man ebenso Michelangelos «David» oder einen x-beliebigen George Grosz ausstellen können. Die Collection Permanente dagegen geradezu tröstlich voller Wunder der Matisse, Picasso usw. – wenn auch zu francophil: kaum ein Dix, kein Beckmann, kein Oelze sowieso, aber auch kein Schad, Grosz usw. Auch Amerika, mit 1 Rothko und 1 Twombly, lächerlich unterrepräsentiert.
    25. November
    Zeitraffer eines Ausbruchs – man kann’s auch ANFALLS nennen – von «gesellschaftlichem Leben» (und insofern auf komische Weise «gerecht», daß ich Montag abend in einer Fernsehsendung über «Klatsch in der Gesellschaft» auftrete …); die letzte Woche also, oder sind’s schon 10 Tage?
    Abschiedsessen mit Rowohlt-Naumann, der nun endgültig und vermutlich für immer nach New York geht, ein mutiger Schritt für einen 55jährigen, zumal die amerikanischen Verleger nicht auf ihn gewartet haben werden, da kann er so viel Naumann heißen, wie er will, er IST eben nicht jüdisch; imposant auch, wie jemand wegen einer Liebe – wie immer «steckt dahinter eine Frau» – einen Weltkonzern zwingt, ihm in New York – da lebt die Dame – einen ganzen Verlag zu gründen. Hut ab.
    Der Abend war nett und höflich eröffnet mit einem leider konsequenzenlosen Kompliment über meinen Roman (immerhin hatte er bereits hineingelesen), denn: Nun braucht er ja nix mehr für das Buch zu tun. Da ist leicht loben. Neues brachte der Abend nur 2mal: daß er persönlich sehr reich sei (womit er der Mär, die neue Dame sei es, entgegentritt); und ein Brief von Jane Rowohlt, den er mir indiskreterweise zeigte (weiß nicht, an wen er gerichtet war), in dem wörtlich steht: «if we are travelling to India, Ledig will only come back as a cadaver» – was Naumann kommentierte: «Sie hat ihn umgebracht.» Zwar wüßte ich nicht, warum – aber seltsam ist der Satz. Wäre verwendbar für eine meiner geplanten «lieblosen Legenden» …
    2 Tage später zum Restaurant-Abendessen bei und zu Günter Gaus, der 66 wurde – und immer un-bissiger wird, immer weicher, resignierter, sich verschmäht und unbeachtet fühlend. Zu meinem Erstaunen erinnerte er sich unendlich lange zurückliegender «Beziehungen», mein (Rowohlt-)Telegramm über das Manuskript seines «Gespräche mit Herbert Wehner»-Buchs, EINEN Tag nach Eintreffen des Manuskripts (ach, ach …); meine Party für ihn am Leinpfad, als er «neu» nach Hamburg kam, als SPIEGELchefredakteur – ER erinnerte sich noch all der prominenten Gäste, Inge Feltrinelli, die Dönhoff, Ledig, Grass usw. – ICH erinnerte mich eines schnaubenden Brief-Zettels von Augstein (aufgehoben, liegt in Marbach!), wieso ich für den Herrn Gaus einen Empfang gäbe, der solle arbeiten und nicht feiern.
    Kurz: Es war ein angenehmer Abend, der vielleicht, was ihn betraf, so

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