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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Adressenbüchlein. Meine Erinnerungen schreibe ich heute hier nicht auf, nur den Nachruf, bin zu müde. Die Traurigkeit kommt erst jetzt in Wellen.
    27. Juni
    Kann mir nur einen schrecklichen Dorian-Gray-Spiegel vorhalten: Immer und immer mehr werde ich zu einer grotesken, lächerlichen Figur, einem Mann wie eine Attrappe: vor Blumen, Kerzen und erlesenstem Mobiliar alleine zum Abendessen sitzend bei Mozart oder Hanns-Eisler-Platten, bei Weinen oder Champagner aus ichweißnichtwievielGläsern – – – und zugleich ein zurechtgeschminktes Gespenst, Impotenz schon im Kopf vorwegnehmend, allenfalls wie eine groteske Thomas-Mann-Kopie auf dem Wintergarten hinter den Palmen zu den halbnackten Maurern hinüberstarrend, die am Nachbarhaus arbeiten und die wahrlich herrlichsten Körper spielen lassen (manchmal habe ich das Gefühl, sie wissen, daß ich sie beobachte) – zwei junge, muskulöse, in Shorts vor allem – und sind leicht kokett: alles sehr ekelhaft. Ich widere mich an.
    Wie kann man in diesem Zustand ein Buch schreiben? Oder kann man es gerade?
    Zwischendurch 1 Tag in Bremen zu den ARTE-Fernsehaufnahmen über HOMOSEXUALITÄT UND LITERATUR, bei denen ich «der rote Faden» sein soll. Das sieht dann so aus: Ich muß zu Bildsequenzen sprechen, die ich nicht sehe, weil es die Aufnahmen noch nicht gibt, und werde nicht nur unterbrochen – Sie sollten 1,4 über Marlowe sprechen, es waren aber 1,8 –, weil Längen nicht stimmen (was ich als Zeitungsmann allenfalls verstehe); sondern auch unentwegt mit einem «Jetzt war das Bild blaustichig» oder «Wir hatten ein Kabelgeräusch im Mikro» oder «Die Verbindung zur Regie war unterbrochen» – also: Sieg der Technik. WAS ich sagte, war vollständig schnuppe, Hauptsache, das Hemd war nicht gestreift, und die Manschettenknöpfe blinkten nicht. Da ich FREI sprach, wurde es manchmal zur Groteske: Immer wieder begann ich: «Oscar Wildes Roman ist auf artistisch raffinierte Weise eine Inscenierung auf doppeltem Boden, weil …» – – – und dann kam: «Stopp, bitte noch einmal, der Hintergrund ist zu dunkel/hell, unruhig, faltig.» Kultur im Fernsehen geht gar nicht. Es ist das Medium für die Message , für Nachrichten – if so .
    16. Juli
    Retour von einigen insofern schönen Sylt-Tagen, als das Wetter schlecht war – mißlich wäre ja GUTES Wetter gewesen, wegen Manuskript: So habe ich, scheint mir, gut gearbeitet, habe immerhin 300 (HANDSCHRIFTLICHE) Seiten fertig. Mein «Tages-Pensum» an Gesprächen betrug «2 Heringsfilets, bitte».
    17. Juli
    Gestern schräges Abendessen mit Schuldt, der mich in ein obskures türkisches Restaurant am Ende der Stadt bestellt hatte, ½ Stunde – verschwitzt in Radmontur – zu spät kam, weil ihm ein Reifen geplatzt sei, atemlos von Radfahrten bis Schweden und Finnland (!!!) erzählte, bei denen er «im Wald schläft», morgens um 7 sich im Regen wäscht, abends vor seinem Baumloch sich was «kocht» (?) und 7 Wochen dieselben Klamotten trägt, die, täglich durchgeschwitzt, allenfalls mal in einem Bach «gewaschen» werden. Jeder reist halt in seiner RELAIS & CHATEAUX-Kette …
    Er ißt mit großem Appetit das halbgenießbare Essen, trinkt türkischen Wein – ich wußte gar nicht, daß es so was gibt – und erzählt pausenlos in schön gewundenen und nie abreißenden Sätzen von einer entlegenen Literaturzeitschrift in Paris, einem Schriftsteller, dessen Namen ich nie gehört, von Meetings in New York oder London mit literarischen Leuten, die ich nicht kenne: eine skurrile, nicht unsympathische Person, von der ich allerdings nicht genau weiß, warum WIR ausgerechnet uns gelegentlich treffen – – – denn eigentlich sind wir ja Antipoden.
    27. Juli
    Literaturstreiflicht: Wapnewski wird zu einem Vortrag innerhalb eines Vortragszyklus gebeten, in dem auch Joachim Kaiser einen hält. Da er weiß, wie teuer Kaiser ist, meint er schlau zu sein und schreibt auf die leidige Honorarfrage vermeintlich schlau und wapnewskisch-elegant, er möchte nicht MEHR als Herr Kaiser. Woraufhin eine ABSAGE kommt – da Herr Kaiser schon zu teuer sei, könne man sich nicht noch einen zweiten …
    2. August
    Vorgestern nacht ist die schöne Ursula gestorben – zierlich, verrückt und besonders, wie sie war in der Nacht, in der der Mond – ein riesiger Vollmond – der Erde in diesem Jahrhundert am nächsten stand …
    War und bin über Gebühr traurig, habe mich in DER Nacht blitzschnell betrunken, habe unsere – allen Ernstes noch

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