Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
vorhandenen – alten Platten, PIAF usw. aufgelegt, förmlich GESEHEN, wie sie dazu tanzte, wie wir tranken, wie wir bis tief in die Nacht durch die Lokale zogen, wie ich mit Ledigs Chauffeur («Fahren wir wieder zu der hübschen jungen Dame?») spätabends nach der Rowohlt-Arbeit dort aufkreuzte, geklauten Gäste-Whisky unterm Arm, um auf die Reeperbahn zu rasen.
Sie war ein DITTE MENSCHENKIND, in ihrem inneren Anstand von all dem Dreck, in dem sie sich mit Behagen wälzte, nicht berührt, sie konnte in einer wüsten Kneipe, in der ein Betrunkener seinen Schwanz rausholte und auf die Theke legte, trocken sagen: «Pack ihn wieder weg, Schätzchen, ich hab schon größere Riesen gesehen», und sie nahm vom reichen Augstein, mit dem sie échappierte (was sie wiederum die «Ehe» mit Wunderlich kostete), kein Geld; wohl die einzige seiner Damen …
13. August (!!!)
Auszug aus einem Tagebuch – von Rühmkorf über Ranicki in der WOCHE; wobei interessant, daß er sich nicht zu schade zum Laudator eines Speer-artig inscenierten Geburtstags war; daß er Ranicki übelgenommen hatte, vor vielen Jahren, daß der einen jungen Rowohlt-Autor verrissen hatte – aber NICHT wegen des jungen Autors, sondern weil ER, Rühmkorf, den als Lektor «an Land gezogen» und nun zu fürchten hatte, sein Stuhl wackle (beiläufig: Er wackelte MÄCHTIG, Ledig wollte ihn längstens und immer wieder und bei der Gelegenheit endgültig rausschmeißen, ICH habe mich für ihn ins Zeug gelegt – den Dank kann ich in meinem Badezimmer zusammensuchen …); daß Grass, genau wie ich es ahnte und ihm auch vorgeworfen habe, bei jener Lesung in der jüdischen Gemeinde zu Frankfurt, die Ranicki einleitete, ihm zwei Zeichnungen geschenkt hat – was man ja wohl nicht mehr unter «Ich kann doch einer jüdischen Gemeinde nicht absagen» verbuchen muß.
Wieviel lieber ist mir dagegen der vollständig zerstörte Thomas Brasch, der gestern 2mal – nach sehr langer Zeit – anrief und NUR zusammenhangloses Zeug redete, offenbar schwer drogiert (was klingt wie ein schwer Betrunkener), ein unkontrollierter und wohl auch nicht zu kontrollierender Wasserfall, der Steine, Schlamm, Baumwurzeln und totes Getier herunterschwemmt: Stasi und Goldhagen, Juden und Schwule («Ich Altersschwuler»), Berlin und San Francisco, AIDS und Wichsen, kleine schöne Schimmersteine («Deine Augen haben Hände» habe ein Schwuler zu ihm auf der Straße gesagt) und hochseltsame Bekenntnisfetzen («Raddatz, ich liebe Sie»), dazwischen wieder SPIEGELschelte, ZEIThäme, Raddatz-Geschimpfe oder die Beichte, seit Monaten mit keiner Frau mehr geschlafen zu haben (was wohl das Kokain anrichtet; nur: WAS ist so schön daran, es zu nehmen?).
Es war ein Hörbild des Jammers – und hatte doch was Großes. Der kann wenigstens noch kaputtgehen an dieser Welt …
16. August
Über die Verkichertheit unserer Welt.
Vorvorgestern und vorgestern «Auftraggeber»-Diners, was heißt: ein Abendessen mit Skierka (MERIAN) und ein Abendessen mit Marlis Gerhardt (SR). ABER: Beiden, obzwar nette, gebildete und kultivierte Leute/Leutinnen, ging es doch fast immer den ganzen Abend lang nur um Klatsch. Die «Geschäfte» wurden eher widerwillig-nebenbei, gleichsam zum Dessert besprochen, ansonsten ging es NUR darum, ob Michael Naumann nun doch zur ZEIT, Karasek dagegen vom SPIEGEL wegginge (beides stimmt nicht mal), ob Karasek von seiner Frau getrennt oder Enzensberger nicht eben doch schwul sei (was mich beides für keinen Pfifferling interessiert), komisch-traurig allenfalls die Geschichte von einem «Adoptivsohn» Hans Mayers, Gärtner, glaube ich, oder Tischler oder so was, selbstverständlich glücklich verheiratet mit Kinderchen, alles das Modell Golo Mann –, für den/die der fast blinde alte Mann noch Geld heranschaffen muß, weil «sie bauen doch gerade, und DAS ist doch so teuer». Die alten Schwulen, die sich irgendwann vor Urzeiten von solchen Halbstrichern haben durchficken lassen und sie nun zur «Familie» erküren, ausgenommen werden für den Rest ihres Lebens, weil die liebe Ehefrau für sie bei ALDI einkauft oder ne Suppe kocht – gibt es was Traurigeres?
Das, sozusagen, hatte noch etwas Ernsthaftes, Tragisches. Ansonsten boten beide Abende keine Minute etwas, das man «intellektuelles Gespräch» hätte nennen dürfen. Die Kicher-Mattscheibe in den Kopf von Intellektuellen einmontiert.
24. August
Gäbe es doch die Computertomographie des ZEITfeuilletons. Für das ich gestern mit
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