Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
vehementer kleiner Rede in der allgemeinen Konferenz eintrat, das am späteren Abend zum Chefredakteur ins Heim gebeten war, wo eröffnet wurde, daß Frau Löffler die neue Chefin sei.
Nun tobt das Entsetzen, man telefoniert bis Bali (wo Henrichs seinen 50. verbringt), will protestieren, kündigen, die Arbeit verweigern – woraus SELBSTVERSTÄNDLICH nichts wird – – – – sowenig Michaelis die Einladung, wie er in seinem emphatischen Klageruf androht, verweigerte, vielmehr brav dort bei Tische saß.
O du doitscher Journalismus.
Kampen, den 1. September
In einem Interview erzählt der jüdische, weiland emigrierte Kunsthändler – und dann auch noch Kunstsammler – Berggruen, wie der Chocolatier Ludwig bei ihm in Paris ein Bild kaufte, der Rahmen war aber nicht in Ordnung, Würmer; «Was machen wir da?» – «Tja, was machen wir da?», worauf der Riese Ludwig noch riesiger wurde und mit Stentorstimme rief: «Vergasen, Herr Berggruen, vergasen» (tatsächlich kriegt man Würmer aus dem Holz per Gas raus – dennoch).
Vor paar Wochen intervenierte ich, gleichsam ZUGUNSTEN von Goldhagen, daß seine Replik in der ZEIT zu lang, zu selbstgefällig sei – weniger wäre mehr gewesen, man habe ihn durch diesen Endlosabdruck um die wichtige Wirkung gebracht. Darauf Ted Sommer: «Ich werde mir doch nicht in der New York Times nachsagen lassen, ich hätte den Juden Goldhagen noch einmal beschnitten.» Das Hahaha der Konferenzrunde wollte kein Ende nehmen.
Der Herr Wiesengrund, der es liebte, unter dem Namen Adorno zu publizieren, sagt über Heine, der habe sich die Sprache «fungibel» gemacht, sie gleichsam zur Glätte «genötigt», weil er «ein Fremdling» gewesen sei, nicht in ihr gewohnt habe. Der krummnasige schwarzlockige Jude Heine hat die blondäugige doitsche Sprache vergewaltigt. Sagt der Jude Adorno.
Kampen, den 3. September
Rentner.
Hotel Kempinski, Berlin, den 17. September
«Rentner-Tag».
Abendessen mit einem so temperamentvollen wie abstinenten Brasch, trinkt keinen Tropfen Alkohol, erzählt – O-Ton FJR –, daß ihm Theaterleute, ein Herr Wuttke vom BE, nicht einmal mehr auf Briefvorschläge antworten.
Las mir erbarmungslos in einem 6.klassigen Ristorante Texte vor, die ich allerdings 1. klassig fand. Prosa von einer Dichte wie lange nicht gelesen.
Danach zu «Kati» – der Thalbach, von der er lange getrennt, aber nie getrennt. Kein Tropfen Alkohol im Haus, ich bekam nicht mal ein Glas Schnaps, sie – wie eine müde, alte Maus – saß auf dem Sofa einer schauerlich-unaufgeräumten Wohnung – kämmte ihre Katze, rauchte, schwieg. Kam mir mit meinen alten DDR-Geschichten alt, démodé und unangebracht vor. Meiner raschen Bitte um ein Taxi wurde nicht widersprochen.
18. September
Der Brasch-Abend ließ mich unruhig schlafen: Ist so jemand nun «freier» oder kümmerlicher – jemand, der nicht «wohnt», nur haust, der im Restaurant – Vorspeise ohnehin nicht – ein paniertes Schnitzel mit Kartoffelbrei bestellt (es sah aus wie von Claes Oldenburg), es nach 3 Bissen zurückgehen läßt und bei Espresso mit Coca-Cola bleibt; auch nicht gerade eine Siebeck-Zusammenstellung. Ist es gut, so unabhängig zu sein z. B. von dem Schnick-Schnack, mit dem ich mich umgebe (um-mülle?), der ja auch eine Belastung ist: Eben habe ich mehr als 20 Minuten damit verbracht, Bananenblüten in die neue riesige Jugendstil-Vase zu arrangieren. Ist jenes Leben «echter» – oder nur kurz? Ist es nicht auch Imitation, das ewige Brecht-Modell? «Weiber» – aber Kati ist immer da, Kati hieß dort Heli. Brasch hat auch etwas Unheimliches, wenn er etwa erzählt, daß er seit 6 Monaten keinen Sex mehr gehabt habe, daß er nicht mal onanieren könne: Ist das nicht ein VOLLSTÄNDIGER Beziehungsbruch, d. h., der einzige Lebensmittelpunkt und Zielpunkt ist sein Manuskript (und ist es dafür gut genug?). Er gibt mir nach wie vor viele Rätsel auf – aber übt auf mich auch einen starken Sympathie-Magnetismus aus, stark wie eigentlich kaum ein «Kollege».
23. September
Das, was man «die Hamburger Gesellschaft» nennt – und was, verglichen mit Paris oder New York, eben keine ist; sondern die Tagung eines Taubenzüchtervereins –, ist schon ein wunderbares Phänomen.
Am Donnerstag also wieder so ein «Cocktail prolongé» in dem, was Graf und Gräfin selber, GEDRUCKT, auf der Einladung ihr «Stadtpalais» nennen, zu Ehren eines Menschen, den die paar Leute, die ich wiederum kannte, NICHT kannten:
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