Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Fernsehdramaturgie à la Schreinemakers, denn er sei doch so «assoziativ», platzte mir der Kragen (und wenn mir der Kragen platzt, bin ich gut), verbesserte sie, daß sie wohl die Fremdwörter verwechsle, das Fernsehen, zumal das von Frau Schreinemakers, sei nicht assoziativ, sondern additiv, nach dem Rezept: «Man nehme eine Domina von der Reeperbahn, einen AIDSkranken Schwulen, einen verprügelten Türken» – während Kunst das Incommensurable bündle, Divergierendes unter einen Stil-Willen, zu einem GANZEN zwinge, man doch aber beim besten Willen beim TV nicht von STILwillen sprechen könne – na, und so. Ob nun mein Ausbruch oder ihr kleinlautes «Eigentlich haben Sie recht» – – – – der ganze Beitrag wurde herausgeschnitten. Da jammert man über Zensur in der DDR. Was ist das?
18. Oktober
Gestern «Tee» mit der feschen neuen Feuilleton-Domina («Keinen Alkohol, bitte»): Die hat die strammen Oberschenkel auch im Kopf, wird dieses Rodeo siegreich und lange reiten und vor allem die Damen («Das Mädel muß mal ein bißchen …», sagt sie über die Radisch) und Herren zureiten. Da sie weiß, in welch marodem Zustand das ZEITfeuilleton ist, UND da sie weiß, daß sie also alle Unterstützung von Chefredaktion und Eigentümer fürs erste hat (sie war sogar bei Holtzbrinck in Stuttgart; er nimmt also auch SEINE Zügel in die Hand), wird sie sich ganz schön durchfräsen. Wie gut, daß ich der «elderly statesman» bin, um dessen Gunst sie anscheinend buhlt (vermutlich auch «gebriefed» – der Mann ist eitel, machen Sie ihm Komplimente, dann kommen Sie mit ihm zurecht), daß ich nicht im Tagesgeschäft mit so jemandem bin.
Die Person ist nicht dumm und gewiß sehr belesen, aber doch TV-verdorben: Schnell und «vor den anderen» sind ihre Haupt-Kategorien, Inhalte kamen nicht vor, nur Namen, «Promis» drucken, rasch, rasch. Da ist sie auch zu Kotauen bereit – eine der hübschen Pointen: Sie will «nach Canossa», i. e. zu Christa Wolf fahren, und der Herr Chef will sogar mitreisen: Eine mächtige Zeitung verbeugt sich vor einer Autorin, die sie vorher beschimpft hat. Das tut sie aber nicht aus besserer Einsicht, aus wahrem Respekt, aus der Erkenntnis, daß ein Künstler (auch in seinen Irrungen) immer mehr ist als eine Zeitung – sondern aus Marktinteresse. Sie will «attraktiv» sein, und das heißt, gekauft werden – und deswegen rast die neue stramme Dame von Walser zu Enzensberger zu Peter Hacks und eben zu Christa Wolf. Nicht, weil deren TEXTE sie – sie: die Dame wie die Zeitung – besonders interessieren, sondern weil sie dem JOOP-Schrei des kapitalistischen Dschungels folgen.
23. Oktober
Besonders netter Anruf von Thomas Brasch zu meinem Roman, den er – wie schön-uneifersüchtig – glänzend gelungen findet: «Wie schön, daß Sie ein Schriftsteller sind. Ich küsse Sie für den Roman.» Das ist rar unter Kollegen.
Übrigens ähnlich ein Anruf von Platschek. Nun schwindelt der immer, wenn auch auf angenehme Weise.
26. Oktober
Der erste Verriß des Romans ist also da – ausgerechnet von dem «jungen Mann», der danach lechzte, sich mir auf der Messe vorstellen zu dürfen als neuer Literaturwart der WELT. Warum tut so jemand das – wenn er das Messer schon wetzt? Und warum dürfen solche Leute so ungeahndet anstandslos schartige, rostige Messer wetzen: Oliver (im Roman) liebe auch Männer: kein Wort davon, er sagt sogar einmal expressiv verbis das Gegenteil. Ein Wortwitz, «wann ist man ein älterer Männer», wird als Stilblüte denunziert. Daß AIDS oder Ausländerfeindlichkeit vorkommen (in einem Buch, dessen «Held» ja Ausländer IST!), wird mir als Stammtischsammelsurium angelastet – käme es NICHT vor, wäre ich der Elitäre, den die böse Welt nicht kümmert. Nun ja.
Der «elitäre Intellektuelle» (bei Leuten dieses Jahrgangs ein Schimpfwort à la Goebbels) kommt auch im neuen Memoirenbuch von Helmut Schmidt vor – seitenlang Raddatz (und Lenz und Grass), eine Privatabschrift unseres seinerzeitigen Interviews am Brahmsee, bei dem offenbar ich ihn besonders geärgert. Ich nehme das als Kompliment dieses Mannes, für den Kunst Inge Meysel ist und, wenn’s ganz avanciert wird, Nolde. Wenn er wüßte, daß beide, Lenz wie Grass, damals außer sich vor Wut waren über sein herrscherliches Gebaren, beide erwogen, das Gespräch (das dann in der ZEIT erschien) nicht zum Druck freizugeben – und Grass vielmehr einem anderen «Druck» nachgeben mußte, nämlich dem auf
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