Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
die Blase: unvergeßlich, wie er dem von mir angemieteten Chauffeur sagte «Halten Sie mal» und der, ganz feiner Kutscher, fragte: «Zu welchem Behufe, Herr Grass?» und Günter schnauzte: «Zum Behufe des Pinkelns.»
Nicht tröstend, eher komisch der ewige Gleichklang mit Freund Wunderlich, bei dem gestern abend zu einem höchst vergnügten Abendessen; er erzählte nicht nur vom komischen Hemdenkauf bei Turnbull & Asser während seines Londonbesuchs anläßlich einer großen Ausstellung seiner jüngsten Arbeiten, wie er große Packen 50-Pfund-Noten zückte und der feine Bediener immer feiner und stummer wurde: Die Banknoten waren uralt und nicht mehr gültig; er erzählte aber AUCH, daß die EINZIGE Ausstellung, die IRGENDWO zu seinem 70. im nexten Jahr geplant wird, eine in – – – – – Eberswalde ist! Weil er dort leider geboren … Nix Paris, New York oder auch nur Hamburg. Eberswalde. Das trifft sich mit meiner «Triumphreise» übernächste Woche nach Dresden und Leipzig oder mit dem heute eingetroffenen Honorarangebot von 700 DM für eine Lesung in Frankfurt (was selbstverständlich abgelehnt wird).
31. Oktober
Miscellen der Verwunderung. Auch der Verwundung.
Dieser Tage Abendessen zu viert mit Ralph Nash und Joachim Helfer, bei dem zweierlei verwunderlich. ICH hatte, um Manier zu zeigen – da wir in ein Restaurant gingen –, vorgeschlagen, ICH lüde Joachim und RALPH lüde Gerd ein, also das, was ich eigentlich als typisch deutsch verachte: «getrennte Rechnung». Zu meinem Erstaunen akzeptierte der reiche Mann – UND ließ MICH, als die Rechnung kam, den Wein FÜR ALLE bezahlen (was meine Rechnung doppelt so hoch machte wie seine).
Ein Thema bei Tisch war Joachims Unglück: Es mache ihn nervös, mit nunmehr 32 Jahren keinen Pfennig eigenes Geld zu verdienen. Mein «Dem kann ja abgeholfen werden – dann VERDIENE es halt, viele Autoren müssen und mußten das ihr ganzes Leben, Heißenbüttel, Jürgen Becker u. a.» wurde offenbar als Ungehörigkeit genommen; ich wurde zum einen auf Proust verwiesen (der aber VON SEINEM EIGENEN Geld lebte!) oder auf die Rolle der Mäzene – etwa bei Rilke. Gut, gut – nur dann nicht über das harte Schicksal klagen, genug Geld vom Freund zu bekommen.
Mit der hübschen Pointe, daß DER nun zu allen möglichen literarischen Kolloquien und Stipendien MITreist, allen Ernstes in diesen Landschulheimen mitwohnt, etwa jüngst in Budapest, obwohl das INTERCONTI gegenüber (wo er auch morgens die Zeitungen holte).
24. November
Rührend das Echo auf meine Ost-Lesereise. In gewisser Weise ist dort noch die alte Lese-«Erziehung» vorhanden, auch ein spürbarer Respekt vor dem, der was macht: immer Begrüßungsschreiben im Hotel, mal Blumen, mal Meißen-Wein. Wie lange wohl diese Mischung aus «Gehorsam» (gegen «oben», und Schriftsteller waren im Osten «oben», nicht nur gesellschaftlich, auch als «Propheten», als Leute, die man fragte: «Sage mir, wie ich leben soll») währen mag?
BESONDERS rührend dann eine alte Dame im Brechthaus, die ich nicht erkannte – es war eine meiner beiden Sekretärinnen aus der alten VOLK & WELT-Zeit, also genau 4 Jahrzehnte her –, die mir ein kleines Bildchen – ihr mal gewidmet – schenkte, das sie also all die Jahre gehütet hatte: Manchmal denkt man, man hatte doch Wirkung auf Menschen …
27. November
Ist Reemtsma eitler, schreib-eitler, als ich wußte?
Er nennt sich allen Ernstes «Professor», nimmt den LES-SINGPREIS der Hansestadt Hamburg an, der doch für ein WERK vergeben werden sollte und nicht für – sehr lobenswerte – mäzenatische Betätigungen. Er benimmt sich wie eine Art intelligenter Pop-Star. Es muß nichts Schöneres geben, als unter der Qual, berühmt zu sein, seufzen zu können …
5. Dezember
EIN LEBEN LANG VERGEBLICH LERNEN, WAS LEBEN IST – so ähnlich, nur schöner und genauer formuliert, heißt es in Becketts ENDSPIEL, das ich vergangene Woche wieder einmal – mit Vater und Sohn Bennent glorios besetzt – sah und das mich diesmal tiefer als früher beeindruckte. Nicht nur diesen einen Satz befand ich für so gültig, Überschrift nicht nur dieses verronnenen und schwierigen Jahres. Mag sein, ich war noch nicht reif für Beckett, als ich all diese Stücke sah, es kann ja kein Zufall sein, daß ich nie über ihn gearbeitet/geschrieben habe.
Das wird sich ändern – mir fiel so viel ein an diesem Abend, daß ich dann doch noch einen Beckett-Essay plane; allein dieses Stück,
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