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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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begreifend, nur Klamauk sehend und den Menschenmüll bejubelnd statt der «altmodischen» Katharsis durch Mitleid(en).
    Ebenso reiner, purer Kunstgenuß bei einem Kissin-Abend, der – schöne Pointe; denn unter der Knute der Verlagsdomina hatte ich ja das Wochenende zuvor noch «ein paar hübsche Anekdoten» Heine mit Chopin, Heine mit Schumann ins Manuskript eingeflochten – einen so harten, geradezu unverschämt schnellen und «unromantischen» Chopin spielte, einen so vehementen Schumann, daß sogar eine Saite riß. Großer, bewegender Abend. Wie mich ja seltsamerweise der Abend der Lachenmann-Oper «bewegt» hatte, obwohl es doch eine sehr bewußte Anti-Fühlmusik ist.
    Gestern zurück von 2 Tagen Mailand, auf dem Hinweg Unterbrechung in München, um die große Richard-Lindner-Retrospektive zu sehen: überwältigend gut, ein ganz eigener, nicht (schon gar nicht in die POPart) einzuordnender Maler; war doch ganz stolz, daß «mein» Bild sehr prominent hing, sich auch als eines der stärksten von den insgesamt wohl über 60 Exponaten bewährte; «mein Bild» ist ja kein Bild, sondern eine Collage, die er nach dem – jetzt in der Sammlung Thyssen-Bornemisza befindlichen – THANK YOU anfertigen ließ, für mich, weil ich in der Zeit, in der ich mit ihm durch Hamburg und Hamburgs Puffs zog, besitzsüchtig jammerte, es sei so unerhört, daß ich kein Bild von ihm … und er zurückjammerte, er verdiene jetzt endlich und so spät im Leben Geld, daß er mir kein Bild (die kosteten damals ein paar hunderttausend Dollar) schenken könne: «Aber ich mach dir eins.» So entstand die Collage –.
    Die Bedrohungs-Vereisung der Lindner-Menschen, vor allem die endlose Ferne zwischen Mann und Frau: wäre ein Kapitel in MÄNNERÄNGSTE wert gewesen.
    Das Ganze wiederum nicht ohne Pointe: Dies Bild im Original sah ich ja erstmals am Tag vor meiner Abreise aus Madrid nach Cuba (wo es eben in der Sammlung Thyssen hing) – und nun vor dem Abflug nach Milano, wo, im Hause Feltrinelli angekommen, ich als erstes ein Foto von Giangiacomo mit Castro sah …
    Der Besuch hochinteressant: nicht nur Inges Professionalität, die man ja in Deutschland, wo man nur die schicken Roben sieht, ihr nicht zutraut; sondern auch die beeindruckende Seriosität ihres Sohnes Carlo, der vollkommen in den Stapfen und in der Tradition seines Vaters, dieses internationaleren Super-Reemtsmas, steht, sich total dem Verlag widmet, das große Institut mit unterhält, selber bescheiden un-mondän lebt, dafür aber von Bertelsmann eine Kette von 27 «Ricordi»-Läden zusätzlich zu den bereits bestehenden 35 Buchläden erwirbt – kein Bill Gates, aber ein hochintellektueller, genauer Stratege. Alles sehr beeindruckend. Schön, daß es so was noch gibt.
    21. Februar
    Skurrile Schlingen –
    in denen ich mich verfange und verwickle: Ein junger Redakteur interessiert mich, zuerst nur so, nun auch «so». Gestern Abendesseneinladung, bei der er eingangs auf meine etwas alberne Frage «Haben Sie etwas Zeit?» sagte: «Bis morgen früh», was ich vor Schreck überhörte – um mich, wohl noch immer über mich selber erschrocken, zum Ende des Abends fürchterlich zu betrinken (kann mich nicht einmal mehr an meinen Abgang erinnern. Blöd). Das alte Spiel «Ist da was, kann da was werden» überanstrengt mich inzwischen derart, daß ich ihm ausweiche. Noch blöder. Um dann im Bette zu liegen und zu träumen: «Was wäre, wenn».
    Am verwirrendsten aber: Ich bin zu alt-ängstlich-unsicher geworden, um überhaupt herauszuriechen, ist der andere nur betäubt von der «Berühmtheit», oder ist er an mehr interessiert. Ich habe mich in den Fäden der selbstgesponnenen Eitelkeit verfangen und finde nun aus diesem Netz nicht mehr heraus – wenn so jemand mir unentwegt Komplimente macht, sich an 12 und mehr Jahre zurückliegende Aufsätze von mir per Datum erinnert, mein Heine-Buch «eines meiner großen Erlebnisse» nennt usw. – – – dann weiß ich nicht mehr, hat der sich auf den eitlen Raddatz «vorbereitet» (aber warum dann? Warum auf dem Verabredungsbestätigungszettel ein «Ich freue mich – sehr sogar»?). En bref: prominentengeil oder geil? Wie finde ich das heraus?
    23. Februar
    Die verächtlichen Kritiken zu meinem Roman bohren in mir weiter, bis zur Schlaflosigkeit.
    Meine Verunsicherung geht viel weiter: ob nämlich die Kritiker (ohne es zu wissen) recht haben. Lebe ich ein – wie es im Scene-Jargon heißt – «abgehobenes Leben», ver-intellektualisiere

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