Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
möge ich in seine prachtvolle Jugendstilvilla wenigstens zum Frühstück kommen. Und als ich morgens in meiner Badewanne in dem gräßlichen HOLIDAY INN bedachte, wie schrecklich wohl das Frühstücksbuffet sein werde – – – – tat ich das. Landete in schönen Räumen voll Sperrmüllmöbeln bei einer aufdringlich-«selbstbewußten» Frau, hartem Ei und miesem Schinken – also bei dem, wovor ich geflohen. Die fremde Frau, von mir heuchlerisch ermutigt: «Erzählen Sie doch mal von sich», TAT das auch (ich war froh, nichts von mir erzählen zu müssen – Leuten, die auch keine Ahnung haben, was und wer ich bin) und begann damit, wie entsetzt sie gewesen sei, daß ich meinen Mantel um die Schultern gehängt und den Schal bei meiner Rede nicht abgenommen hätte; erst «Ihre wunderbaren Worte haben mich versöhnt».
Dies ein witziges Detail, was ich «darf» und was nicht. So, wie mir heute in der TAZ vorgeworfen wird, daß ich (heute abend läuft der ARTE-Film) bei laufender Kamera geraucht habe. Also: Tabori «darf» natürlich mit wahren Schärpen umgehängt herumrauschen, «der Künstler» – – – – und in fast jeder «modernen» Inscenierung «darf» auf offener Bühne geschissen, gewichst und gepinkelt werden, am besten auch gefickt – – – – – aber ich «darf» nicht rauchen …
Aber: Als die mir fremde Frau hinausging, frischen Tee zu machen, flüsterte der mir genauso fremde emeritierte Herr Professor zu: «Sie ist eine sehr erotische Frau – aber ich habe noch daneben eine Jüngere, eine ganz wunderbare Lebenserfahrung, wir schreiben uns alle Details, die wir vorher …» – und dann mußte ich alle möglichen Details seines Liebeslebens ertragen, wie, wann und mit wem er diese «sehr erotische Frau» betrüge (mit 68!, immerhin …), die nichts wissen dürfe und die ihm gedroht habe: «Wenn ich mal … dann ersteche ich dich.» Mein trockenes «Na, dann wissen Sie doch wenigstens, wie es demnächst – glücklicherweise rasch – mit Ihnen endet, denn derlei bleibt ja nie geheim» fand er nicht komisch.
2. Februar
Gestern noch hochseltsamer Opern-Abend mit einer Nicht-Oper: Lachenmanns, tja, was ist es: Musiktheater? Über Andersens Streichholzmädchen mit Allusionen an Gudrun Ensslin – eine kühl-rationale Etüde mithilfe einer Art Gegenmusik, die sich dem Wohlklang, dem «Gefühl» verweigert, die die Töne spaltet und abspleißt vom Harmonischen der herkömmlichen Musik – – – – für mich, den musikalischen Dilettanten, schwer zu beurteilen, ob gelungen oder schickes Kunsthandwerk. ICH erlebte jedenfalls einen – um 20 Minuten zu langen – Abend, der einen ausgeprägten Stilwillen vorführt, ein phantasiereiches Bühnenbild – das Ganze eben ein Märchen, das ja auch unwägbar, a-rational nur Bilder und Gedankenfetzen wirft.
Es gilt immer, sich klarzumachen, daß Maler wie die Impressionisten wie die Fauvisten wie eigentlich alles «Neue» in der Kunst immer erst einmal abgelehnt wurden, eben WEIL es neue, ungewohnte Wege ging, tradierte Hör-Fühl-Denkweisen aufbrach.
4. Februar
Kalamitäts-Situation in der ZEIT – «Es herrscht Krieg im Feuilleton» ist der Satz des altgedienten Michaelis –, wo man den, wie sie es nennen, «Einmarsch» der neuen Principessa Löffler nicht akzeptiert, mit der man nicht spricht, die man nicht grüßt und der man wohl vor allem verübelt, daß sie 3 «Neue» mitgebracht hat. Unbegreiflicherweise beschäftigt mich das, obwohl es mich doch nichts – mehr – angeht; so stark, daß ich kürzlich bei einem Ressort-Abendessen eine «friedenstiftende» Rede hielt, daß ich aus eben dem Grunde einen der «Neuen», den begabten und sympathischen Assheuer, lauthals begrüßte – – – – und daß ich aus «taktischen Gründen» ganz froh bin, gerade in der letzten Zeit öfter «präsentiert» worden zu sein wie bei jenem Abend (an dem sich Chefredakteur Leicht geradezu tränengerührt für meine «kleine Ansprache» bedankte).
15. Februar
Großartig-genau-kalte Marthaler-Inscenierung von Horváths KASIMIR UND KAROLINE, schien mir einleuchtender, poetisch grausamer als Brecht, weil ohne Lehre, Nutzanweisung und Bedeutung; der bessere Nachfahr von Wedekind und Strindberg. Selbst noch die zänkische, provinzfriseusenhaft aufgedonnerte Parkhauswächterin hätte eine seiner Figuren sein können. Das Publikum je jünger, desto dümmer, feixend, wenn Herren ins Damenklo gehen und wenn ein Tisch umfällt, das Eisige offensichtlich nicht
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