Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
«passée», wenn man Glück hat, findet man einen «Tambour» als Taschenbuch. Dafür Ernst von Salomon und Jünger, Jünger, Jünger (und immerhin viel Thomas Mann). Doch in der «Kunst und Politik»-Ausstellung im Pompidou ist Uwe Johnson Gründungsmitglied der Gruppe 47, und Jünger liegt als Dokument politischer Literatur neben Böll und Stefan Heym (!!). Totale Uniformiertheit. Wie in der 30er-Jahre-Ausstellung im Palais Tokio kein Schlemmer, ein mickriger Schlichter, keine Lempicka – und keinerlei Zusammenhänge, etwa der Formübergänge Neue Sachlichkeit – Faschismus, was am Beispiel Sironi oder Schad herrlich zu dokumentieren wäre. Oder umgekehrt von den Rosta-Fenstern zum Stalinismus. Aber Majakowski existiert überhaupt nicht, in beiden Ausstellungen nicht. Da hängt sinnlos ein Miró neben einem Malewitsch, dann rasch ein Plakat, eine Wochenschau, eine Illustrierte, ein Möbel’chen: das additive System der Speisekarte, damit alle «amüsant» oder «elegant» sagen können bzw. auf meinen Einwand, Meuniers Skulpturen nähmen in ihrer Feier der Arbeit, der Muskeln, der Ähre faschistische wie stalinistische Figurationen vorweg, ein schlichtes: «Mais ils sont tellement beaux comme sculpture.»
Restaurant-Maßstäbe.
15. April
Gestern schön-verrückt-farbig-abstruser Abend mit und für Wolf Wondratschek, der im INTERCONTI eine Lyriklesung hatte anläßlich der wirklich sehr absonderlichen Idee des Hotels, eine ganze Etage – also in JEDEM Zimmer statt der üblichen Redouté-Rosen oder anderer Scheußlichkeiten – GEDICHTE von ihm in Rahmen wie Bilder aufzuhängen (UND in jedem Zimmer, quasi neben der Bibel, ein Buch von ihm auszulegen).
Das war schon mal als «Ereignis» lustig, tatsächlich war die ganze Etage – mit den grauslichsten «Senator-Lounges» in Hotelchippendale – zu besichtigen, man ging von Zimmer zu Zimmer, immer ein wenig erschrocken, wenn da schon jemand drin war – aber es waren halt immer Party-Gäste; auf den Fluren köstliche Häppchen und guter Wein bzw. Champagner. «Tout Hambourg» – was in diesem Fall eine absonderliche Pointe hatte: Wondratschek ist ja gleichsam ein un-schwuler Fichte, d. h., er treibt sich mit Vorliebe auf der Reeperbahn oder in ähnlichen Milieus herum. So waren bereits bei der Lesung in einem der «Festsäle» die aufgedonnerten «Damen».
Neben den Hamburgerinnen im kleinen Grauen Zuhälter mit Sonnenbrillen und goldenen Armbändern neben irgendwelchen Kulturbeamten und/oder SPIEGELredakteuren, ein grotesker Zirkus – mal wurde ich einem Herrn Marke oder Maske vorgestellt, das war wohl ein preisgekrönter Boxer, mal wollte der «König von St. Pauli», ein stadtbekannter Zuhälter, Bordellbesitzer und wohl auch «bißchen» Verbrecher, von mir wissen: «Sahn Se ma, wat is denn nun der Unterschied zwischen Gedichten und Romanen.»
Beim «gesetzten» Essen dann – für die «happy few» , ein Essen mit vielen Gängen, Weinen und allen Raffinessen – war für eine Weile mein Gegenüber der ehemalige Chefredakteur der BILDzeitung. Wahrlich, ich habe lange nicht mehr eine so gemischte Gesellschaft erlebt – und einen immerhin so unspießigen Schriftstellerkollegen. Der aber natürlich – wie alle anderen – ruhmgierig ist, unter der Camouflage «Was geht mich der Rummel an». Zum Beispiel nach einem Kurzinterview, das wir gemeinsam in einer dieser Hotelsuiten absolvieren mußten – im Anschluß sagte er: «Du warst brillant, kannst du nicht in diesem Sinne irgendwo über mich schreiben?» Oder: Er hatte mir gerade – wieder in einem anderen Zimmer – erzählt, er führe nächste Woche nach Cuba und ich möge ihm doch Hotel- usw. Ratschläge geben, und ich begann gerade meine lustige Leihwagen-Benzin-kein-Benzin-Geschichte, da kam der Herr Hage vom SPIEGEL ins Zimmer: Auf stand mein lieber Wondratschek, ich war MITTEN in einem Satz, ließ mich stehen respektive sitzen und flog auf Hage zu und mit dem los, anderswohin: Es könne sich ja ergeben, daß im SPIEGEL – «gräßliches Blatt» – sich etwas ergäbe, ein paar ach so verachtenswerte Zeilchen. Zu Tisch wurde der Herr Hage dann nicht gebeten. Aber was ist eine lustige Geschichte aus Cuba gegen eine Erwähnung im verachteten SPIEGEL?
20. April
Absurde Schnipsel.
In der ZEIT ein Dossier über «jüdische Soldaten in der Hitler-Armee», an dem fast GAR NICHTS stimmt, nicht mal ein angebliches Hitler-Bild, auf dem leider kein Hitler. Zwar Empörung in der Redaktion – aber wird
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