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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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auch wieder nicht hören; ich habe ja nie 90 Millionen Widerstandskämpfer gefordert – aber erlaube mir, festzustellen, daß Heinz Rühmann eben nicht nur «Quax, der Bruchpilot» spielte oder die «Feuerzangenbowle», sondern widerliche Hetzlieder gegen Churchill sang: um seine Villa im Grunewald zu haben. DAS «mußte» man eben garnicht, und wenn man’s tat, muß man sich das schon vorhalten lassen. Auch von einem, der «zu jung» war – was für ein albernes, wieder feige-exkulpierendes Argument: Dann darf ich also kein Wort zu oder über Büchner und Kleist, Fontane und Balzac sagen? War ich ja auch «zu jung» und nicht dabei? Fetscher begrüßte mich mit einem: «Sie glauben nicht, wie ich Sie um diesen Brief beneide.» Ich: «????» Er: «Na, das weiß doch jeder, daß SIE diesen Lenin-Brief an Rosa Luxemburg geschenkt bekommen haben, der neulich auf einer Auktion für 240.000 DM wegging …» Ich: «Was Sie so alles wissen.» Fetscher: «Ja, das war allen klar, als es hieß, eine rheinische Dame habe ihn ersteigert.» Aber er ist so dumm, daß er mir ja auch erklärte, er wisse ja, daß bei jedem Artikel von Helmut Schmidt die Auflage der ZEIT um 50.000 stiege. Dann wären wir jetzt bei einer Auflage doppelt so hoch wie STERN und SPIEGEL …
    9. Juni
    Am Freitag ein «tosendes Fest» – fast schon wie Abschluß der Saison, denn nun gehen bald alle in die Ferien, ich ja auch nach Kampen: Grass und Wunderlich, Enzensberger und Lettau, Inge Feltrinelli und die Mondäne, Jürgen Becker und Robert Wilson, Zadek, Flimm und Liebermann, Rühmkorf. Es war sehr schön, sehr «leicht», die «Chemie» stimmte, keine Mißtöne – außer hinterher Mißfarben auf meinem Teppich; ob da ein kleines Stück Neid-Haß unterbewußt reagiert und die Leute achtloslieblos sein läßt nach dem Motto: «Der hat’s ja» (weil sie wohl denken, ich hab’s wirklich, und sich nicht vorstellen können, daß hier zwar der Champagner in Strömen fließt – es wurden 50 Flaschen getrunken –, ich aber gleichzeitig hohe Schulden habe). Joachim Kaiser der Betrunkenste. Muß man sich Sorgen machen? Scheint unfroh und kein heiterer Trinker, sondern ein Bilanz-Alkoholiker. Wie auch Klaus Stephan, der neue Hoffmann-und-Campe-Chef. Mein Satz zu Rowohlts Heepe neulich abend: «Ich überlege, zu einem anderen Verlag zu gehen mit meinem nächsten erzählerischen Buch» löste die nicht sehr ermunternde Antwort aus: «Das kann ich verstehen.» Schade, daß Hochhuth absagte, hätte gerne den Herren Intendanten zu-intrigiert; Zadek nannte ihn den modernen Autor von «Onkel Toms Hütte». Ist da was dran? Die Mondäne in ihrem Element. Zu sonderbar – diese Frau. Zu einem gemütlichen Abend, sagen wir zu viert, an dem man sich doch in Wahrheit viel besser, nein: überhaupt unterhalten kann, käme sie nie. Aber für so einen Wirbel ist ihr nichts zuviel, zu weit und zu schade, da schleppt sie Champagner und Vodka an, Rote Grütze und Servietten, Braten, Plätzchen und Blumen. Und vor allem Robert Wilson, dem sie halb verfallen ist, den sie zur Hälfte («Bob, komm mal hierher – Bob, mach das nicht») wie ein Eigentum behandelt. Seltsam anämischer Mann, der durch die Wohnung ging wie eines seiner weißen Nashörner oder eine seiner Schildkröten durch eine seiner vielen Inscenierungen. Vor 4 Tagen Fichte hier, der anstrengend, schrill und gleichzeitig wieder angenehm-ungewöhnlich war; wie halt immer. Am Morgen nach seinem Besuch (immer essen wir bei mir, dem Junggesellen; wieso lädt er nicht auch mal mich ein?) kam ein Brief von ihm aus Agadir, in dem unsinnige Banalitäten standen wie: «Heute bin ich traurig», aber dann wieder so ein schöner Satz wie: «Wir schreiben doch alle nur gegen den Tod.»
    Eurotel, Neuchâtel, den 13. Juni
    Im Zug zurück zum Flugplatz Zürich, zurück nach Hamburg
    Gestern also der «Besuch des alten Herren», bei Dürrenmatt, vor dem – d. h. dem «Interview» – ich so ängstlich-nervös war wie stets. Nicht ganz zu Unrecht: Mir schien nämlich schon bei der Vorbereitungslektüre, daß Dürrenmatt etwas dumm ist. Im Gespräch stellte sich heraus, daß er einen Gedanken nicht zu Ende denken, ihn nicht einmal festhalten kann. Er scheint älter, als er ist, und hat die für alte Menschen typische «Gedankenflucht», man kann auch sagen, er «labert». Wird viel Arbeit, aus den 2 ½ Stunden Tonband ein druckbares Gespräch zu schneidern. Die Aufnahme war sehr nett, geradezu freundschaftlich, mit dem

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