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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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«undeutschen» Ende, daß er mich zum (leider mäßigen) Essen einlud und hinterher noch einmal zu sich – und einem 1973 Saint-Émilion, violetter Samt. Die Behausung strange . Drei verbaute, verfummelte 50er-Jahre-Häuser, flach und schmal und kleinräumig, verteilt auf einem märchenhaften, verwucherten Riesengrundstück hoch über dem See, still, grün, wunderschön. Innen nichts Besonderes, gelegentlich auch ein schönes, aber auch einfaches Möbel; in der Mehrzahl Sperrmüll, scheußliche Lampen und Gardinen. Schöne Bücher – erstaunlich bei einem «Nichtleser». Das ist ungerecht – er liest Entlegenes, aber nicht Thomas Mann oder Grass. Über mein Geschenk des Wunderlich-Minotaurus-Prospekts hat er sich sehr gefreut. Auch wieder seltsam, diese europäische Intellektuellen-Family: Natürlich kennt er Wunderlich und dessen Arbeit genau, kennt alle (?) meine Arbeiten aus der ZEIT (ich mußte mich also keineswegs umständlich vorstellen; aber meine Bücher natürlich nicht), und er hat seine Frau an einem Abend bei Maximilian Schell kennengelernt. Tja, die Frau. Ein Typ, zu dem ich ganz rasch Zugang habe; good-looking , frech-spröder Charme, wirkt berlinisch, man kann frivol-frotzelnd mit ihr umgehen – aber sie gängelt ihn wie einen Sugar-Daddy. Keinen Moment stellt sich das Gefühl ein, hier lieben sich zwei Menschen. Vielmehr haben die 2 eine Firma gegründet: «Biete Schweizer Paß und Wohlhabenheit – erwarte to be taken care of .» Offenbar wollte er nicht alleine leben (schwer zuckerkrank, 2 Herzinfarkte) und sie «in den Hafen». Groteskerweise sagt sie (ohne eine Spur Bedauern, gar Mitleid in der Stimme) wie nebenbei, daß sie ja wochenlang zum TV-Filmen unterwegs ist und er dann eben sehen müsse, wie er sich abends versorge …
    Sie ist deutlich der Mann (vielleicht komme ich deswegen so gut mit solchen Frauen «hin?»).
    Kampen, den 17. Juni
    Seit gestern im Handschuhfach. Auf der Herfahrt eine «Kurve» über Lüchow-Dannenberg, wo Grass und Uwe Bremer zu einem SPD-Fest geladen hatten – – – was einerseits eine der üblichen Sozi-Bierzelt-Veranstaltungen wurde, andererseits auch anrührend war. Über 600 Menschen, von Lettau bis zum alten Leo Löwenthal (wie eine alte Indianerin in dem eisigen Zelt in eine Decke gewickelt), von Kopelew bis Horst Janssen zig Leute da: immer und immer wieder die alte Hoffnung, die SPD könnte und würde … Als hätte sie uns alle nicht oft genug enttäuscht, als habe nicht sie Notstandsgesetze und Berufsverbot und Pershing II (unter Helmut Schmidt) uns eingebrockt. Und dennoch ging’s auch mir so, zumal, als ich mit dem sehr sympathischen Niedersachsen-Kandidaten Schröder sprach: Man wünscht sich so sehnlich diesen grauslichen Kohl weg, daß man lieber eine matte SPD hätte als die da. Wenn’s wenigstens Weizsäcker wäre (bei dessen Lob-Porträt, das ich für VOGUE, ausgerechnet, schrieb, die tapfere Redaktion mir alle Anti-Kohl-Gemeinheiten rausstreichen will …).
    Nachmittags nach Berlin zur Grüber-Schaubühnen-Minetti-Lear-Premiere, zu der ich Jugendfreundin Ruthchen eingeladen hatte. Komplizierte doppelbelichtete Fotografie: Neben mir saß das Mädchen, das mich noch heute liebt. Letztes Mal brachte sie mir kleine Zettelchen mit, die ich ihr vor vielen Jahren während der Vorlesung geschrieben hatte und die sie offenbar wie Kleinodien hütet – diesmal Fotos.
    Gleich nach dem Mittagessen retour nach Hamburg gesaust, wo ich die «große Jury» für mein Lyrik-Projekt einberufen hatte – eine rein wegen der Termine komplizierte Sache, denn unsere armen hungernden Dichter sind ja immer entweder auf einer ihrer Datschen oder zu Vorträgen in Amerika.
    Das war einerseits ein SEHR schöner Abend, weil eben ein Gespräch, das sich ja um einen INHALT dreht, erstens ohnehin amüsanter ist als Society-Blabla, und zweitens ein Streit um eine Lyrik-«Hitlist» zwischen Enzensberger, der wendiger als Nurejew und Baryshnikov ZUSAMMEN war, Grass, der nur ganz still an der Pfeife sog und «Ich will aber den Autor des Hohen Lieds erfinden» brummte, Jürgen Becker, der nur absurde Vorschläge hatte (Breton, als sei das ein Lyriker), und Rühmkorf, der allen Ernstes erklärte, er sei nun mal kultureller Nationalist und könne diese ganzen Franzosen nicht ausstehen, egal ob sie Verlaine, Mallarmé oder Rimbaud hießen – also ein solcher Streit natürlich sowohl komisch ist als auch eine herrliche tour d’horizon .
    Da es um REDEN ging, für Literaten das

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