Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Schönste, gingen die Herren – – – um 4 Uhr morgens!!! Ich war einer Ohnmacht nahe – sie dagegen etwas verstimmt-erstaunt, daß ich sie rausschmiß. Und noch ’nen Cognac und noch ’nen Vodka und noch ’nen Sherry und, und, und. Rühmkorf hatte sich gar einen Beutel alter Brötchen mitgebracht – gegen den vielen Alkohol. Meine Frage «Woher wissen Sie denn, daß es den bei mir heute gibt?» wurde weder ernst noch auch nur wahrgenommen.
25. Juli
Mittags aus London wegen Bacon. Fing damit an – vielleicht bin ich doch ein schlechter «Journalist», nehme Dinge zu ernst? –, daß ich schon 2 Tage vorher unansprechbar war. Ich puppe mich vollkommen in so ein Werk – egal ob Dürrenmatt, Anders oder eben Bacon – ein, ziehe mich wie eine Schildkröte in einen Panzer zurück und bin von so hochgradiger Nervosität, daß ich mit NIEMANDEM ein Wort sprechen kann. Ich bin auch ganz unsinnlich, d. h. für andere Sinneseindrücke ganz «zu», mag nicht essen, noch schmausen, noch schmusen, nix Champagner.
So saß ich «zu» Abend alleine im Claridge’s und hing meinen Bacon-Gedanken nach. Nexten Morgen war die große Tate-Gallery-Ausstellung wegen kaputter Klimaanlage geschlossen, und ich mußte mich mit Presseausweis bis zur Direktion durchkämpfen und immer schreien: «Lunch mit Bacon.» Tatsächlich machten sie mir dann auf, und ich konnte, auch ’n Vorteil, die Ausstellung ganz alleine sehen, ohne Hüte von Bus-Amerikanerinnen.
Die Begegnung war dann ganz «leicht», sehr wohlerzogen-englisch, höflich, offen. Ich brachte ihm als etwas zu dick geratene Visitenkarte meinen englischen Marx mit, worin er angeblich hochinteressiert blätterte, wobei er auch murmelte, er wisse ja bereits, daß ich nicht «bloß» Journalist sei – – – und mich dann fragte: «Why did he ever leave Russia?» Peinlich, eine Antwort darauf zu finden, die nicht kränkend war. «Oh, I remember, didn’t he live for quite some time in London – but where is he buried?» – Also, so ganz profund gebildet ist der Mann nicht. Dafür aber gibt’s neben und außer ihm keinen anderen Maler auf der Welt, allenfalls ein klein wenig Picasso (aber 85 % of his work is rubbish ) und Velázquez. Das ist der EINZIGE, den er gelten läßt. Die Leute bei Marlborough hatten extra eine Art kleinen Clubraum für unser Gespräch after lunch (bei dem nur Röderer-Cristall in Strömen floß, den ich – no drinks while working – in eine Blumenvase goß) hergerichtet und dort ein großes Delvaux-Bild hingestellt und einen großen Picasso – – – aber Bacon fiel förmlich her über beide. Und Hockney ist ein Deko-Bühnenbildmaler und Guttuso, o Gott, und Genet ein Schönschreiber und Baldwin «junk»: also auch ein bißchen eine bösartige Tunte, der Herr.
Die Bilder sind trotzdem schön und beunruhigend, und es hat ihn wohl sehr berührt, daß ich schon beim Lunch sagte, woher es wohl komme, daß man sie streicheln, sie berühren möchte – ein Gefühl, das ich bei keinem anderen Maler hätte; sogar noch mehr, daß man ein Bild von ihm SEIN möchte.
30. Juli
Gestern Abendessen mit dem jungen Reemtsma, der eine sonderbare Mischung aus linkisch, intelligent, hochgebildet, politisch interessiert und «lebensgleichgültig» ist. Zeigte mir vor dem Essen sein Super-Office, ca. 12 Räume mit dem herrlichsten Alsterblick, den ich je gesehen – – – aber schauerlich möbliert mit falschen englischen Möbeln wie eine reiche Anwaltskanzlei; am besten gefiel mir: «Und dies ist das Zimmer meines Anlageberaters, der sonst sein Büro in London hat …» Beim Essen läßt er mich den Wein aussuchen, raucht – mit DEM Namen eine besondere Pointe – meine Cigaretten, schwitzt und streicht sich dicke Butterstullen vorm Fisch, und ich, obwohl der Gast, muß eine zweite Flasche bestellen. Aber warum seine Wieland-Ausgabe keine Anmerkungen hat, das weiß er genau zu begründen. Alle seine Pläne mit dem Institut oder seinen Arno-Schmidt-S. -Fischer-Prozeß nimmt er sehr ernst, sieht auch die etwas makabre Pointe, daß neben allem Sachlichen darin auch «Holtzbrinck-Erbin läßt sich nicht von Reemtsma-Erben …» steckt.
Fichte, für den ich ein gutes Wort einlegen wollte, kennt er überhaupt nicht. Erzählte, daß mein Artikel über ihn eine wahre Sintflut von «Bettel»-Briefen ausgelöst habe – u. a. finanziert er jetzt das Adorno-Institut, dem Geld zu geben der noble Herr Unseld sich weigerte; wie er der schwerkranken Witwe Adorno kein Geld
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