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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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bedrohlich-ernstgemeinten «Können SIE nicht wieder Feuilleton-Chef werden …» des ZEITchefs träume ich buchstäblich JEDE Nacht von der ZEIT, irgendwelchen Quatsch von Pariser Wohnungssuche meiner Sekretärin oder Debatten mit Greiner oder Wahlpartys bei Sommer (alles Leute, die mit dem allen NIX zu tun haben, außer eben mit der «Firma»), meist Streit, Diskussion, Entscheidungen. Der Stein ist also sehr tief in mich hineingeplumpst und zieht dort ZWEI Kreise: der eine – was wäre es für ein «Triumph». Der andere – um Gottes willen, ich KANN und WILL das nicht mehr, wieso soll ich X (zumal ich die heutigen Xe gar nicht mehr kenne oder, wenn ich sie kenne, nicht mag) anrufen, er möge doch «bis Freitag 14 Uhr» über Y schreiben, und zu Z fliegen, um den Geburtstagsartikel über A zu bestellen, während ich 3 Stunden später zurück sein muß, um an einer Sitzung über neue «Erfassungssysteme» teilzunehmen.
    Bedrückend auch, wie wenig pfleglich man mit mir umgeht, wie baby-egoistisch: «Ich will die Milch aus deiner Brust!» eine Firma sich verhält: Ob ich gesund genug, phantasievoll genug, kundig genug, vor allem willig genug bin, interessiert nicht, nach dem banalen Schema «Der war mal sehr gut – also ist er’s immer/heute noch!» grapschen sie nach meiner Lebensenergie; glücklicherweise nicht wissend, wie wenig Rest da ist.
    Nizza, den 30. Juni
    Vor den Skurrilitäten-Tänzen meiner Literaten (Joachim Kaiser am Telefon: «Da war die Crème de la Crème von München – von Sawallisch bis zu mir!»; Walter Kempowski am Telefon, «nebenbei» wie auf der Bühne zu seinem Sekretär sprechend: «Herr Hempel, wie heißt doch gleich der Fisch, den ich so gerne esse?» – «Seezunge, Herr Kempowski») habe ich mich hierher gerettet, wo ich mich in einem Skurrilitäten-Ballett fand: Diner in einem Haus respektive Besitz, wie ich’s wirklich nicht für möglich hielt, daß es so was gibt, eine Villa von ca. 100 Zimmern auf der «Zunge» von St.-Jean-Cap-Ferrat in einem Park, wohl größer als das Fürstentum Monaco und «bespielt» von Dienstbotenscharen, gewiß zahlreicher als dessen legale Einwohner – Alleen, Parkwege, dort eine «eigene» Felsküste, da direkt am Meer –, so daß optisch beides ineinander übergeht – der olympiareife Pool («Ich wasche das Mittelmeer», sagte lässig nebenbei die schielende New Yorker Hausherrin); beim 5. Pool auf dem Gelände hörte ich auf zu zählen wie bei der 40. Picasso-Keramik, ganz nebenbei in einem Nebencouloir versteckt, in beleuchtete Wände eingebaut: Säle, Räume, Statuen, Bilder, Hortensienfelder und Wasserfälle; Citizen Kane lebte ärmlich, und Inge Feltrinellis Schlößchen ist eine Hundehütte, die Anwesen von Mme. Henkel Katzenklos.
    Um Mitternacht betrank ich mich unterm Vollmond auf meiner Dienstmädchenterrasse – und aß etwas; denn «Danke, nein» ist das Gesetz dieser Diners, bei denen unter Gefahr, die Haut reißt auf, die 12fach gelifteten Damen viel mehr als eine zierlich mit Messer und Gabel zerteilte Erbse nicht ins Mündchen bugsieren können. Alkohol sowieso nicht. An den dekorativ verteilten 3 Bars im Park nahm niemand ein Glas, bei den mindestens 10 versteckt übers Gelände verteilten Sofa-Sessel-Gruppen in erlesenem Design und in diskreten Farben (das Haus, überraschend für Amerikaner, ist schön!) drückte niemand eine Zigarette aus. Nur ich – der Exot, der sprach, der Themen berührte, der Witze machte – ein seltener Zierfisch im Bassin, in dem ansonsten alle schweigend und gelangweilt schwimmen. Doch man gab sich Mühe meinetwegen. «Lieben Sie Tolstoi?» fragte mich die Dame des Hauses, ganz Sagan-unschuldig. «Nein», sagte ich.
    Nizza, den 4. Juli
    Durchaus nicht ganz zur Ruhe gekommen, von makabren Träumen geplagt: Marilyn Monroe – ja wahrlich kein Abbild von Gerds eben gestorbenem Vater und auch nicht von der beruflich sterbenden Mme. Löffler – stürzt dekorativ in einen Gully-Abgrund, wo sie (allen Ernstes träumte ich vom berühmten «Avedon-Foto»!) wegen Stöckelschuhen hängenbleibt und schließlich im weißen Kleid, ein toter Falter, aufschlägt. Was soll/ist das? Oder der «Versagens»-Traum mit Ruth, die plötzlich Zahn- statt Augenärztin und meine reihenweise herausfallenden Zähne operieren muß. Wieso sind Zahnträume angeblich Impotenz-Träume?
    14. Juli
    Die «Branche» immer verkommener: gestern bei einem kleinen Abendessen (bei dem netten Skierka) kurzes Gespräch mit dem SPIEGEL-Aust,

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