Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
abgesagt».
Interessant vor allem aber, mit welcher (getroffenen?) Gereiztheit er auf meinen Einwand reagierte, ob es denn ganz rechtens und reinlich sei, all diese ECHOLOT-Bände unter seinem Namen ALS AUTOR zu publizieren, da doch kein einziges Wort darin von ihm, es doch eher «herausgegeben» heißen müßte (oder welches collagiert-arrangiert-insceniert-Verbum immer). Gereizt wie eine Viper kam: «Sie wissen nicht, wieviel Arbeit ich damit hatte, nicht wahr, Herr Hempel?» Und mein Argument, ich habe auch viel Arbeit gehabt, als ich in allerdings nur drei Bänden MARXISMUS UND LITERATUR herausgab, wäre aber nie auf die Idee gekommen, diese Textsammlung mit FJR zu betiteln – wurde überhört. Stattdessen kam, natürlich, das Walter-Benjamin-Argument und das Pissoir von Duchamp: Nur, weil 2 Leute hochstaplerisch «Zitate» als eigenes Kunstwerk ausgaben, ist das ja noch kein «Gesetz»? Konnten uns nicht einigen, wobei ich zugeben will, daß hier ein Problem steckt. Ich wollte ja auch gar nicht attackieren, nur fragen, ob er nicht meine, daß …
Meine Freunde, die Poeten: haben immer meine Nummer, meine Adresse, wenn sie was wollen; sonst Schweigen: heute serviler Brief mit gewidmeter CD, gewidmetem Plakat usw. von Biermann, weil er möchte, daß ich für eben diese CD in die Posaune puste. Nun bin ich der «liebe Fritz J.»; war ja auch mal anders, als er mich öffentlich der Lüge zieh (und in Deutschland hat ein Poet IMMER recht), weil ich im Blättchen einen – übrigens schön-nachdenklichen – Abend bei ihm referierte und der Stimmung wegen von ‹Rotwein› geschrieben hatte, er aber nur Apfelsaft angeboten haben wollte: was für wesentliche Details. In Wahrheit wollte er sich nicht vor seinen Damals-noch-KONKRET-Freunden der Verzagtheit zeihen lassen, die ich ihm bescheinigt hatte, er wollte noch das Kettenhemd des Kämpfers schimmern lassen, das ich ihm verdunkelt hatte.
Hôtel Lutetia, Paris, den 20. September
Warum ich nicht (mehr) in diesem Papperlapapp-Paris leben könnte – ein Abend bei/mit Valerio Adami. Einladung in ein mäßiges Restaurant, er spendierte für 5 Personen 1 Flasche Wein, keine Vor- und keine Nachspeise; na gut. Aber das Gespräch.
Ich fragte nach den politischen Verhältnissen in Italien. «Keine Ahnung, sie sind so wirre, wir kümmern uns darum nicht.» Also ich von den deutschen politischen Verhältnissen, der Seltsamkeit, daß unter der rechten Kohl-Regierung die sogenannte veröffentlichte Meinung links war und sie jetzt, unter der linken Schröder-Regierung, rechts ist; ich versuchte von Walser, Handke, Botho Strauß, Sloterdijk zu erzählen. «Interessant!» Dies eine Wort. Dann wandte man sich – auch noch vergebens – der Weinkarte zu. Erscheint ein israelischer Maler – eine italienische Dame später im Taxi: «Ich kenne ihn gut, seit Jahren, ein Bild von ihm habe ich nie gesehen» – man kommt auf Israel, fragt, ob ich, ich sage «ja», aber immer mit Beklommenheit, und erzähle meine Begebenheit beim Abendessen im Haus Gerschom Scholem – um zu verdeutlichen, daß ein Deutscher (in Israel) gelegentlich nicht das Recht hat, RECHT zu haben: wie ich kritisch-empört darauf hinweise, wie die Israelis die Araber behandeln, z. B. mit einem «Zeichen» im Paß – wie weiland hier bei den Juden –, und wie plötzlich, ein empathischer Rachegott Jahwe, Gerschom Scholem aufstand und fast schrie, mit gerecktem Arm: «Nicht Sie, Sie nicht!» Dazu sagt man am Pariser Quackel-Tisch: «Amüsant.» Eigentlich müßte man da aufstehen und gehen …
Auch die mehr und mehr grassierende Unsitte, schlecht über «Freunde» zu sprechen, verunsichert/befremdet mich.
So also Adami über seinen angeblich besten und längsten Freund Ralph Nash, über dessen neue «Armut» er nur spottet («Ach was, der hat doch, ob in Zürich oder London, überall Geld versteckt»), den er egoistisch nennt, der nie etwas für andere täte, wie über Joachim Helfer, Nashs Lover, den er meiner Meinung nach zu Unrecht «kalt und zynisch» nennt, vielleicht eine Begabung, aber doch jemand, der stets nur von anderer Leute Geld lebe.
Hochbefremdliche Scene beim Abendessen im CHEZ FRANCIS, wo, durch eine Scheibe von mir getrennt – also bühnenhaft –, Hans Mayer saß; d. h. EIN Hans Mayer: jemand, der in jedem Detail, in der gesamten Körperhaltung, Körpersprache ein perfektes Double von Mayer war, bis hin zum Schmollmund, wenn der Kellner kam (und offenbar Nicht-Genehmes anbot); ich hörte ihn
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