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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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er sonstwohin, ich kannte ihn noch aus seiner Kölner Zeit, ich war in JEDER Premiere, er war zigmal mein Gast (gelegentlich zu lange in den Morgen hinein).
    Hotel Kempinski, Berlin, den 29. Juli
    Wie viele Vergangenheiten gibt es (in die man reisen kann)? Vergangene Woche also Fahrt nach Mansfeld, Benns Geburtshaus, ein verkommenes kleines DDR-Dorf, das Pastorenhaus, schieftürig, bewohnt von einer Unter-Pfarrer-Ehefrau: «Ja, nein, den Mann kenne ich nicht, aber manchmal wird nach ihm gefragt.» Keine Plakette an der Tür, nirgendwo im Dorf, sein Taufkirchlein daneben rührend-verträumt – «abgehoben». Weiter nach Rheinsberg, zum von ihm ungeliebten Tucholsky, die Gegend bezaubernd, still, märkisch-fritzisch, bescheiden, mit chromblitzenden West-«Pickeln» übersät; Gespräch mit dem sehr tüchtigen Böthig wegen meines 70.; na ja. Im selben Schloß, in dem Tucholsky seine Blondine verführte und in dem ich zum 70. gefeiert werden soll – saß der junge Prinz Friedrich und trauerte um seinen schwulen Lover Katte, den sie umgebracht hatten. Fritz II und Fritz ohne Zahl am selben Ort …
    Weiter nach Ravensbrück – das also unweit von Benns Geburtsort und des Juden Tucholsky Liebesnest –: immer und immer wieder ein Schauer; man WEISS es alles – aber es zu SEHEN ist etwas anderes. Wäre Ruthchen 2 Jahre älter gewesen, wäre sie durch diese Pforte gegangen und NIE MEHR wiedergekehrt … schändlich die Verkommenheit des Mahn-Ortes. Wie viele reiche, schwerreiche Deutsche gibt es inzwischen mit Zweit-Dritt-Viert-Sitzen, Privatflugzeugen und Diamantkiesel-überschütteten Zweit-Dritt-Viert-Frauen: Und keiner gibt EINE Mark zur Erhaltung. Schmählich. Wie wäre es, Herr Flick, Sie haben doch nicht nur genug Geld, sondern auch genug Dreck am Stecken?!?!
    Weiter zu Honeckers «Schloß Hubertusstock», sozusagen ins «Honilithikum», verziert mit Hirschgeweihen und röhrenden Hirschen in Bronze im Park, die grünen Plüschsofas lassen noch grüßen: aus der Broschüre, dort erwerbbar, aus der einem die Herren Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß entgegengrinsen, kumpaneienhaft.
    Weiter – deutsche Geschichte auf engem Raum – an dem Grundstück, auf dem einst Görings «Karinhall» stand (ihm, da Ministerpräsident, war Hubertusstock angeboten, das er, da zu klein für den Pansen, ablehnte), vorbei nach Wandlitz, wo die DDR-Bonzen sich in ihren spießigen Villa-chens verschanzt hatten und man all die «Ich war’s nicht»-Leute noch in ihren Volvo-Limousinen vorbeibrausen sieht – – – weiter nach Berlin, zu seinen scheußlich-neureichen Neubauten, ohne architektonischen Pfiff, groß, laut, teuer, glitzernd, der Potsdamerplatz ein baugeschichtliches Bordell.
    Weiter zum alten Freund Thomas Brasch, der neben dem BE und über dem GANYMED wohnt, d. h. NICHT wohnt, weil nicht mal ein Stuhl zum Sitzen vorhanden. Ein Bild des Jammers – dieser einst «schöne Mann» nun kahlköpfig aufgeschwemmt, die brennenden Augen eingesunken und erloschen, der wunderbare Geist taub, das einst so streitsüchtige, temperamentvolle Gespräch banal («Wie geht’s Wunderlich?»). Als ich zum Essen drängte, mußte er vom 1. Stock den Lift nehmen und saß – offensichtlich angeekelt davon, daß ich wirklich aß, mit einer Tasse grünem Tee neben mir. Nach knapp 1 Stunde hieß es: «Ich muß mich hinlegen» – und Thomas Brasch verschwand.
    Oder es liegt an mir, an MEINEM Eigentlich-nicht-mehr-interessant-Sein. Wahrscheinlich eher das. Als ich, immerhin wollte ich wenigstens mein Bier austrinken, an einem Nebentisch Tabori sah – der mir schließlich mal geschrieben hatte: «Nur weil es Dich gibt, weiß ich, warum ich in Deutschland bin» – und an seinen Tisch ging: «Ich will nur rasch guten Abend sagen» –, blickte der mich an wie einen Toten: «Du trägst jetzt einen Bart» (den ich seit 35 Jahren trage, er KENNT mich garnicht ohne Bart) und: «Bist du jetzt in Berlin?» Ich verabschiedete mich mit einem leisen «Es scheint so».
    Das einzige, was all die noch ein wenig lebendig hält, ist Haß. Ich, der ich dem Manne weder befreundet bin noch Grund habe, ihm auch nur freundlich gesonnen zu sein, ich finde es NICHT in Ordnung, wenn Brasch sagt, Ranicki hätte seine Memoiren statt «Mein Leben» doch besser MEIN KAMPF nennen sollen.
    Abends Inge Keller in BESUCH DER ALTEN DAME, ging nur hin, weil ich mich an sie erinnern wollte – – – es stellte sich heraus, ihr letzter Auftritt als Ensemble-Mitglied des

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