Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
DEUTSCHEN THEATERS, in dem sie ab 1946, glaube ich, auftrat, DER Star der DDR, die Madeleine Renaud des Ostens, auch «schick», verheiratet mit Karl-Eduard von Schnitzler, Hiddensee-Haus mitten im Naturschutzgebiet mit Spezialerlaubnis von Honecker usw. – hatte sie in vielen Rollen gesehen.
    Nächsten Morgen nach Tempelhof, HÖCHST seltsamer Ausflug, parkend vor meinem Geburtshaus, das scheußlich verschandelt, während einige der Nachbarhäuser noch JETZT, wie viele Jahrzehnte später, im gelben abgeblätterten Rauhputz erhalten sind – alles, die Parks, die Wege, die Zufahrt etwas verkommen, diese einst so PERFEKTE Art-déco-Siedlung mit Teichen, Spazierwegen, geharktem Kies und städtebaulich vorbildlich – da das Krankenhaus, da die Schule, dort die Einkaufs-Straße –, versunken und verpatzt durch Garagenanbau und «Windfang» über den Türen. Obsolet geworden wie der dort Geborene.
    Auf dem Rückweg nach Hamburg Besuch bei Grass in Behlendorf, der FÜR MICH kein Vergnügen, während er weise und genießend schien: den Nußbaum im Abendlicht, das Huhn auf dem Tisch und die Terrakottas im Atelier. Auch da: Es wird an mir liegen, an den ziemlich blank liegenden Nerven. Aber es «bekommt mir nicht», wenn er ganz ungerührt sagt: «Tja, mit dir kann man sich nicht schmücken, deswegen bist du auch in keiner Akademie und hast keinerlei Preise.» Über dies «nicht gesellschaftsfähig» wird noch einiges zu sinnieren sein. Schönes Thema für die Memoiren.
    Kampen, den 10. September
    Meine arme süße Schwester, sie liegt seit Wochen im Koma bzw. bewußtlos (weiß den Unterschied nicht), 2 Schlaganfälle, das alles in Bangkok, by all means, wie eine schwarze Krone dieses wirren Lebens – mit 17 aus Deutschland weg zu den französischen Verwandten, die sie im Stich, d. h. alleine ließen in Paris 1947, wo sie einen Araber heiratet (nicht Amerikaner), mit dem sie nach USA geht, dann in den Irak, dann wieder USA, dort 4 Kinder, die inzwischen amerikanisch like appelpie sind, dann Scheidung, dann Mexiko mit wechselnden Latin Lovers, deren letzter ihr offenbar ihr letztes Geld stahl. Dieses langsame Verlöschen des Gehirns – sie wußte meinen Namen nicht mehr, nicht den von Sylt oder ihrem Sohn, war handicappée oder dérangée – und nun, alle Hirnadern sind rissig und porös, die Schlaganfälle, deren Folgen man noch garnicht weiß, sie erkennt seit Wochen niemanden.
    Auch aus der Balance geworfen, weil ich nun garnicht mehr weiß: Habe ich in der letzten Zeit, den letzten Jahren gar, das Tagebuch doch schielend auf eine Veröffentlichung geschrieben – – – verführt durch Freund Kerstens Jubelrufe, durch Niko Hansens Jubelrufe, durch die Jubelrufe von Schirrmacher: «Nennen Sie mich bitte Ihren Freund, Sie waren und sind mein Vorbild.» Dann Schweigen.
    Soll ich aufschreiben, daß ich letzte Nacht, zum ERSTEN Mal in meinem Leben! «auf Französisch» träumte? Vermutlich eine hirnliche Rück-Verlängerung über/durch die Schwester zur französischen Mutter. Also Zeichen für Mutter-Ersatz der Schwester = inzestuöse Bindung. Daher auch mein Groll gegen Freunde, die «nur Ihre Schwester» sagen. Zeichen, daß keiner von denen was von MIR begriffen hat, begreifen WOLLTE; begreifen hieße ja Teilnahme, und Teilnahme ist anstrengend, ist nicht mehr «angesagt» in unserer Gesellschaft. «Wie geht’s?» – «Danke, sehr gut.» So muß es «laufen».
    Aber die letzten 2 Monate ja tief, sehr tief in der Arbeit am Benn. Davon stets abends so «ausgehöhlt», daß es allenfalls für die von ihm so genannten «Radiergummi fürs Gehirn» nommé Krimi(s) reichte. Erschöpfende, aber wunderbare Arbeit, auch voller Zweifel, ob wunderbar (= schön) sein kann, was ja auch widerwärtig ist; denn das war der Mann durchaus. Aber das soll und muß hier nicht ausgeführt werden – steht alles (hopefully) im Buch.
    Meine «Abschlußverhandlungen», die ja, genau genommen, Todesvorbereitungen sind: Im Oktober Vertrag mit dem Hamburger Museum, wo nach meinem Tode ein «artists room FJR» entstehen soll; also eine Schenkung zu Lebzeiten – ab diesem Datum lebe ich gleichsam in Leihgaben. Dann der inzwischen unterzeichnete Vertrag über meine Memoiren – auch das ein eigenartig Ding, ein wenig komme ich mir vor, als habe ich mein Leben verkauft. Dann der Reue-Besuch des säumigen Marbach-Direktors, der nun «Beeilung» machen will, damit alle «Transporte», schönes Wort, bis Ende des Jahres arrangiert werden – also der

Weitere Kostenlose Bücher