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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Themen. Er stürzte sich auf die 2 Leitzordner Tagebücher – deswegen, also wegen eventuellem Abdruck, war er da – und als ich ihn gegen 16 Uhr das erste Mal störte, wußte er nicht, wie spät es ist: Er las einen «Kulturkrimi», wie er sagte, «das ist der bundesdeutsche Gesellschaftsroman, der nie geschrieben wurde».
    Ulkig, nun hier übers Tagebuch im Tagebuch zu schreiben und reichlich unhygienisch, daß ich ernsthaft erwäge, mich «öffentlich zu machen», also zu publizieren, was doch einmal als Herzwäsche gemeint war. Das hat mit seinem Singen Freund Joachim Kersten getan. Schirrmacher jedenfalls will’s nun in der FAZ eventuell in einer Folge von 3 Monaten – drucken; zerschlagen wird sich das, wie alles im Leben, am Jelde.
    Kampen, den 3. Juni
    Es gibt also Todes-Rosen (ist Rilke nicht an einem Rosen-Dornen-Stich gestorben?): vorige Woche wegen Krebs-Verdacht Biopsie der Prostata. Die Folge: Die Ejakulation schießt wie eine Blut-Fontäne hervor, roter Samen! Sieht schauerlich-schön aus, diese Vermengung der beiden Lebens-Säfte.
    Krebs: Theodor Storm sagte zu seinem Arzt: «Bitte die ungeschminkte Wahrheit, ich ertrage das.» Darauf der Arzt: «Ohne Frage Magenkrebs.» Woraufhin Storm zusammenbrach, mit hängenden Händen wie Lidern herumhockte. Woraufhin seine Frau den Arzt-Schwiegersohn zu Rate zog. Woraufhin der Arzt-Schwiegersohn ein Lügen-Concilium von 3 Ärzten zusammenrief, das dem Schriftsteller erklärte: «Alles OK, Sie haben garnichts, es muß eine Fehldiagnose gewesen sein.» Woraufhin der alte Storm erleichtert-beflügelt sich hinsetzte und den SCHIMMELREITER schrieb, woraufhin er 1 Monat später starb. Eine der schönsten deutschen Erzählungen verdankt sich der Lüge.
    Derlei weiß (bzw. referiert – es steht wohl in Thomas Manns Storm-Essay) Hochhuth, der gestern hier zum Essen und wie immer vollkommen liebenswert und vollkommen kauzig: von Mozarts Ermordung, einem unehelichen Kind des Komponisten, dem Erwerb des Liebermann-Palais durch den Quandt-Sohn der Magda Goebbels (die in 1. Ehe mit einem Quandt verheiratet war) und seiner geschiednen 2. Frau erzählt, die ihm bei einem Abendessen kurz vorm Scheidungstermin den Ehering vom Finger riß, rief: «Da siehst du mal, was für ein Wicht’chen du geworden bist, du stirbst ja ohnehin in ½ Jahr, wozu noch die Scheidung, ich werde mit Wollust deine Witwe sein.»
    Jedenfalls eine Mischung aus Belesenheit – weiß wörtlich Benn-Briefe an Oelze zu zitieren – und Anekdotensattheit von Charme und Witz; «Wenn Sie reinkommen, das 1. Haus links», habe Liebermann Besuchern sein «Palais» gekennzeichnet, «rein» nach Berlin war gemeint, weil das Haus gleich links neben dem Brandenburger Tor.
    Kampen, den 11. Juni
    2 Tage Ceremonien zu Ted Sommers 70. hinter mir: die eine, im «Liebermann-Garten» von Jacob an der Elbe pompös mit «tout Hambourg», die andere, in einer Kneipe seiner Wohngegend Volksdorf, familiär-freundschaftlich und damit auch denkwürdig; nicht nur seltsam, daß ich, der Außenstehende, dazu geladen war (es hieß: «nur Familie und engste Freunde») – sondern auch, zu sehen, wie stabilisierend «Familie» sein kann. In gewisser Weise geht/ging mich das nix an, ich bin und war nie so eng mit dem Mann, daß ich seine Rolle als pater familias hätte beurteilen können/wollen. Aber es hatte etwas Berührendes, da sämtliche geschiedenen und jetzigen Ehefrauen, sämtliche Kinder – «Ich bin der Zweite aus dem ersten Wurf» – zu erleben, die sich nun um den Vater scharten, ihm Ständchen brachten und kleine, oft recht zärtlich-dankbare Reden hielten, oder die vielen Geschwister, die vom «Oberhaupt der Familie» sprachen. Das alles hatte etwas Bewegendes – und Nachdenkliches: unsereins ohne Familie, ohne Kinder, ohne irgendein Geäst, das im Sturm schützen könnte.
    Ich bereue, die 2 Söhne, die ich «gehabt hätte», nicht gehabt zu haben. Ein Lebens-Versäumnis.
    Kampen, den 14. Juni
    Die Unreinlichkeit, daß ich mein Tagebuch publizieren will (obwohl’s nie so gedacht war; angeblich deswegen so «authentisch»), rächt sich.
    Nun etwas, das man hohnlachend quittieren oder aber auch bedrückend finden kann: Der Herr Schirrmacher von der FAZ schied am 29. Mai – nachdem er den ganzen Tag die Scripte gelesen hatte – mit Elogen à la «Das ist der Gesellschaftsroman der Republik, der nie geschrieben wurde. Das ist Balzac» und mit der ZUSAGE: «Das drucken wir.» Wollte im Hause klären, ob 3 oder 4

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