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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ist eine andere Zärtlichkeit, und ich weiß nicht, welche die «ehrlichere» ist.
    27. Oktober
    «Es ist getan»: der nächste große Schritt aufs Ende zu.
    Gestern nachmittag habe ich beim Notar den Schenkungsvertrag mit/für das/dem MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE unterschrieben.
    Was überwog nun? Eitelkeit und das ewige «den Tod überlisten wollen» – oder Bürgersinn? Ich vermute mal: eine (un-)schöne Mischung aus beidem. Der Gedanke schon sonderbar, daß es also nach meinem Tod eine Art FJRmuseum geben wird, noch sonderbarer, daß eventuell Menschen, die hier bei mir gelegentlich meine Gäste waren, dann dort in «meinen Räumen» sich bewegen werden. Am allersonderbarsten wohl für Gerd, der schließlich dann 2 oder mehr Jahrzehnte in den Dingen (mit-)gelebt hat.
    Brown’s Hotel, London, den 1. November
    «Grüß den Georg», sagte der Wiener Jude und meinte den anderen Wiener Juden: Eric Hobsbawm, world famous historian , meinte Lord George Weidenfeld.
    Am Ende eines spannenden und manchmal auch ausgeleierten Gesprächs. Immerhin: Als ich ihn fragte, ob er sich – Mitglied der KP bis 1956 – auch über einiges zu schämen habe, sagte er: «Yes and no.» Man, er, habe nicht wissen wollen. Was auch deshalb eine interessante Parallele zu Stephan Hermlin ist, als der ihn in Berlin, sein Mitschüler, in den kommunistischen Jugendverband gebracht hat, 1932. «Das war eine mäßige Steglitzer Wohnung», bestätigt Hobsbawm: «Wir haben das nicht gewußt», kommt es bei dem Kommunisten wie vom Bankdirektor aus Dortmund, wenn ich seinem «Für diese Idee haben so viele gelitten» entgegenhalte: «Und dieser Idee wegen sind Tausende gestorben.»
    7. November
    Helmut Kindler zu Besuch.
    Ich in meiner Schafigkeit hatte gedacht, seine immer häufigeren Anrufe: «Wir müssen uns mal sehen» seien sentimentaler Natur, hätten gleichsam «Erinnerungscharakter» – an die Zeit, da ich mich bei ihm und der roten Nina vorstellte, das erste Kindler-Buchprogramm entwickelte (liegt in Marbach – z. T. grotesk – mit Neruda und Aragon und Majakowski und Lukács: Ich wollte mir meine DDR rück-verlegen). Es ehrt ihn ja auch, daß er den Nobody mit den verrückten Ideen tatsächlich zum Verlagsleiter bestallte, immerhin kam ich «von der Straße», hatte NICHTS, 300 Mark von der «sparsamen» Mary Tucholsky gepumpt. EIN Hemd (voller Sorge, woher ich ein 2. oder 3. nehmen sollte, da es Gehalt ja erst zu MonatsENDE gab), hatte noch nicht mal westdeutsche Papiere (zumal ich ja ablehnte, Flüchtlingsstatus zu beanspruchen und durch ein Flüchtlingslager zu gehen), keine Wohnung in München: eben nichts.
    Und ich hatte mich sogar ein wenig auf einen «lustigen» Abend voller Erinnerungen gefreut, feines Hummersüpp’chen kredenzt, wollte von meinem Schock über das «zu feine» (recte: neureiche) Kindler-Haus erzählen, wie ich nach dem 1. Gespräch zur resoluten Mary an den Tegernsee zurückfuhr (im Bus) und sagte: «Die haben weiße Telefone – da geh ich nicht hin – ich spreche nicht in weiße Telefone, dazu bin ich nicht aus der DDR abgehauen.» Und wie die Mary, ganz Tigertank, mich anbrüllte: «Es kommt darauf an, was Sie IN das Telefon hineinsprechen, Sie Idiot, und nicht, welche Farbe es hat.»
    Aber. ABER: Der alte Mann wollte nur seiner jungen Frau imponieren, ich sollte vorgeführt werden, so im Tone von: «Siehst du, was ich für berühmte Leute kenne» – – – UND: ER WOLLTE WAS. Die Dame ist – natürlich, wer ist das heutzutage nicht – Künstlerin, und nun macht sie ein Buch, in dem ihre Kunstwerke abgebildet sind, und ich habe sofort eine GROSSE Rezension in der ZEIT zu schreiben, und von der macht er dann einen Sonderdruck, und den verteilt er und, und, und: Mein Feuer war dann rasch erloschen, was bei mir immer (wenn ich mich langweile) bedeutet: zu viel Wein, zu viele Cigaretten. Anfangs dachte ich noch: Eigentlich lustig, da steht bei mir im Flur der Mann, der mich mal rausschmiß, und fummelt verlegen am Papier, aus dem er die Blumen nicht auswickeln kann (beiläufig: ein mickriger Strauß, das, was ich «Automatenblumen» nenne). Aber dann merkte ich rasch, daß er auf meine ausgelegten Angeln: «Wissen Sie noch, als ich – – – und da haben Sie gesagt – – – und dann hat Ihre Frau» garnicht anbiß. Er ist, wenn auch alt, halbtaub und halbblind umhertorkelnd, der alte «Ich-kaufe-ich-verkaufe-Typ»; nu hat er ne junge Frau, da soll die auch einen hübschen Schmuck um den Hals kriegen:

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