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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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sagt, sie hat vorige Woche mit ’nem Schwulen geschlafen – dann mach’s ich mit der nicht …» Mit ’nem Schwulen.
    Fichte (vorgestern abend bei mir), zwar wie immer schrill und sich tuckig in den Tüll tretend, hat dann aber mit seinem immer gewitterähnlich durchbrechenden Zorn oder seiner Traurigkeit recht: «Wissen Sie, ich hab doch alles, was ich mein Leben lang getan habe, nur in der und für die Illusion der großen Verschwulung der Welt getan; und damit habe ich nie gemeint, alle sollten schwul sein und werden – sondern, daß es gleich ist, ob man mit Mann oder mit Frau oder mit beiden oder Frau mit Frau oder 8 auf einmal etwas miteinander tun. Der große EINE Körper – das hab ich gemeint. Und das haben sie uns kaputtgemacht.»
    Wer «sie» ist, sagt er nicht richtig, mal ist es der CIA, mal der KGB, die die Krankheit produziert haben – – – warum sie das getan haben sollten: nix. In seinem Wahn (selbst sein einst schönes Gesicht wirkt nicht nur böse, sondern auch gedunsen) ist ja auch Herr Reemtsma von Moskau gekauft. Zu eigenartig – gewiß, Kunst ist immer auch Übertreibung, und «wir» Künstler hören, riechen, schmecken mehr und anders; ein Maler, der nur sähe, was ICH sehe, ist keiner, und ein Komponist, der nur hört, was ich höre, auch keiner. Aber DIESE ewige Übertreibung auch im Leben – brrr. Er kann doch nicht meinen, daß man selber ernst nimmt, wenn er mir nach dem Essen schreibt: «Jetzt sind Sie da, wo Sie hingehören – in die erste Reihe der europäischen Schriftsteller; und das seit dem Marx.»
    Nur, weil eine entlegene Pariser Zeitschrift meinen Pound druckt und KUHAUGE in Paris erscheint. «Sie sind im Zenit Ihres dichterischen Schaffens …» – – – – will er mich damit verhöhnen, verletzen, die Distanz zu sich, dem Berühmten («Ach, Raddatz, ich leide so unter dem Ruhm. Sie wissen ja nicht, wie das ist»), deutlich machen wie eine Frau, die zur Freundin sagt: «Ach, meine Liebe, sei froh über diesen hübschen, leichten Wollmantel von Hertie, der dir so gut steht – du hast ja keine Ahnung, wie lästig so ein Nerz ist …»?
    Flugzeug München – Hamburg, den 2. Oktober
    Zurück von Margarethe von Trotta und Barbara Sukowa, deren Rosa-Luxemburg-Interpretation (ich lese ihre Briefe an Jogiches) das Bild dieser Frau für mich prägt; merkwürdige Arbeit, dieses Filmen: Es setzt einem Bilder in den Kopf. Magischer als «bloße» Worte.
    Sukowa ist ganz identisch mit der Rolle, hat 4 Monate nichts als das getan und Rosa Luxemburg gelesen, zieht – sie scheint sehr intelligent – Konsequenzen, wenigstens im Denken: «Da urteilen wir über Nazizeit und Nazis – aber wir tun doch auch nichts gegen Atomwaffen, Chemie und Weltraumbewaffnung.» Das sagt sie, als wir über den Irrsinn sprachen, daß ja Smoking-Publikum im Eden zusah, als Rosa Luxemburg verhaftet und verprügelt wurde: «Wäre es heute anders?»
    Liest keine Belletristik, kennt weder Fichte noch Enzensberger, nie eine Zeile von Grass gelesen.
    Frankfurt, 12. Oktober
    Die Messe auch eine riesige George-Grosz-Zeichnung: wie etwa Jane in spitzen Tönen kreischt: «She is the most beautiful woman in the world!»: Gemeint ist Ann Getty, die in der Tat eine der reichsten Frauen der Welt ist und dann geradezu voll religiöser Inbrunst seufzt: «Just think – 6 million Dollars a day to spend …»
    Daneben, die Augen vor Abwehr zusammenkneifend, Inge Feltrinelli, auch nicht gerade arm. Ledig und George, tatsächlich wie auf der Bühne, wenn der junge Getty naht, ein ca. 20jähriger undergraduate student , springen auf, holen ihm einen Sessel und bieten ihm, von rechts der eine und von links der andere, aus ganz ähnlichen, dicken Lederetuis Davidoff-Zigarren an; der junge Schnösel nimmt gnädig eine, die Ledig ihm schneidet und anzündet und ergeben fragt, ob sie gut: «Danke, ganz OK …» Die Rechnung am Tisch der Millionäre bezahlte übrigens ich. Was sitze ich auch an solchen Tischen der has-beens , wo ewig geseufzt wird: «Ach, was waren das für schöne Zeiten» – womit Ledig die Zeiten meint, die er damit beendete, daß er mich (telegraphisch) hinauswarf. Wäre ich heute ohne diesen ZEIT-Job – sie kennten mich garnicht.
    Ein verlegener Händedruck, auch schon ’ne Pulle Champagner – c’est ça .
    Zweierlei macht mich sehr nachdenklich: geschlachtet ohne Ausnahme von Journalisten; verteidigt (mit vielen Ausnahmen) von Autoren. Wo gehöre ich hin? Gerd gestern abend: «Die Leute

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