Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
irgendwann, im Frühjahr vielleicht, würde ich gerne ganz, ganz kurz, eine Zigarettenlänge, Ihre Zeit in Anspruch nehmen, um Pläne für mein letztes ZEITjahr auszuhecken.» Naumann: «Ich rauche nicht mehr.»
Gestern – wie immer – schöner Abend bei Wunderlich, herrliche Blumen, schöne Kunst, gutes Essen, intelligentes Gespräch. Was ich jedennoch als «Bilanz» feststelle: Er liebt die Menschen nicht (weswegen er die wunderlich-seltsamsten-ironischen Geschichten über Sammler, Händler, Sohn und Tochter erzählen kann). Ich liebe Menschen; das ist meine Schwäche, zumal es ja heißt: Ich liebe mich. Die äußerste Schwäche (angreifbar machend). Doch etwas traurig: Die zu meinem 70. geplante Ausstellung in/auf Schloß Rheinsberg – Manuskripte, Fotos, Bilder mit Widmungen, meine altmodischen Karteikästen, Skulpturen, paar witzige ausländische Ausgaben meiner Bücher – fällt ins Havelwasser: Die Lotto-Gelder, die für derlei normalerweise zur Verfügung stehen, werden zum Erhöhen der Abgeordneten-Diäten benutzt.
11. Februar
Einsamer werden – älter (alt) werden: ein vicious circle . Denn den Generationsgenossen hat man nichts mehr zu sagen, es ist alles – wie bei einem alten Ehepaar – gesagt; und man – ICH – lebe ja nicht mit der jüngeren Generation. Wie neulich der eher bläßliche Abend bei Wunderlich, nun gestern abend hier zum Essen Nash mit Helfer (der allerdings jung) – der alte, früher komische und leicht absurde, aber doch immer «sparkling» Ralph Nash erloschen, sich aus dem Gespräch geradezu ausschaltend, wie eingeschlafen auf dem Sofa sitzend und bei Tisch – da kann man ja schlecht schlafen – Geschichten, die wir schon 7mal gehört haben, drei weitere Male erzählend (noch dazu: pointenlos).
Das wurde übertroffen allenfalls von MIR, der SEINE Geschichten – wie Gerd mir leicht feixend beim Frühstück berichtete – dreimal wiederholte. In diesem Fall die vom Kotzbrocken Unseld, aus dessen Haus ich per «Versandzettel» die Mitteilung erhalte, daß das von mir herausgegebene ZEITmuseum der 100 Bilder nunmehr in der 10. Auflage, d. h. im 180. Tausend, vorliegt. Das wiederum heißt, daß alle von mir bei Suhrkamp herausgegebenen ZEITbücher zusammen eine Auflage von ca. ½ Million haben, wo hinzukommen die 3 Bände meiner ZEITgespräche, mein DDR-Buch TRADITIONEN (in gebundener, in Broschur-Version UND im TB erschienen, zusammen ca. 50.000) UND mein kleiner Essayband in der Edition Suhrkamp: alles in allem kein «Verlust»-Autor. Das aber ist dem gräßlichen Unseld nicht einmal das Beilegen einer Visitenkarte wert. Die Geschichte erzählte ich Joachim Helfer zum Trost – weil das feine Haus Suhrkamp ihm sein FERTIGES Buch, ohne ihn zu fragen, ohne ihn auch nur zu informieren, aus dem Herbstprogramm gestrichen hat (obwohl er mit dem vorangegangenen einen bemerkenswerten kritischen – leider nicht kommerziellen – Erfolg hatte). Natürlich war das junge Genie («Er ist Suhrkamps wichtigster Autor», höre ich ja seit Monaten von der jiddischen Mamme Ralph) deprimiert – – – – heißt das doch
1. Publikation im unwichtigeren Frühjahrsprogramm,
2. ein fertiges Buch zu haben, das nicht «da» ist – also ½ Jahr Untätigkeit,
3. ein deutliches Signal, daß man das neue Buch nicht sehr schätzt; denn wäre man BEGEISTERT vom Text, würde man alles tun, um …
Helfer tat/tut mir leid. Kein Grund, meine Geschichten dreimal zu erzählen. Es muß wie die Gesellschaft von Tauben gewesen sein.
Nizza, den 20. Februar
Monastisch-monologes Leben, Sprechen nur beim Kauf von Dingen, vom Aschenbecher bis zum Auto (weil die Auto-Leiherei nie klappt). Für die wilde Herumträumerei jede Nacht, in der die Marionetten aus den Kulissen gezerrt werden, alle, die möglich (und unmöglich) sind – ob Grass und Hochhuth, Gabriele und ZEITredakteure (die wahrlich «in mir» nichts zu suchen haben), Antje und Enzensberger, Ledig und Platschek –: Nur dieser Tanz der Nachtgespenster zeigt, daß ich das Versinken meiner beruflichen Welt nicht verwinde. Es ist halt das (hoffärtige) Gesetz meines Lebens, daß «Leben und weiter nichts» nicht zu meinen Geboten gehört, dieses «Genieße Dein Leben» (was ich ja durchaus auch tat und tue) ist nicht mein Codex: Es war halt die Arbeit. Hoffärtig nenne ich es, weil ich mich damit/darin vergleiche, ob mit einem Walter Benjamin oder einem Rilke, gar mit «meinem» Leben-niederer-Wahn-Benn («Traum für Knaben und Knechte»). Doch es
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