Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Und der soll ausgerechnet ICH sein.
Noch heute ging ein präziser «Es tut mir leid …»-Brief ab.
17. November
Der Endlos-Fortsetzungsroman «Verkommenheit des Kulturbetriebs». In Berlin gibt’s ein Restaurant WELTBÜHNE. Ich vor geraumer Zeit hin, ob man nicht irgendeine Art «Dekoration» mit und für Tucholsky machen möchte. Ja, möchte man. Der Besitzer kam sogar nach Hamburg, um sich allerlei Material bei mir in der Stiftung anzusehen. Ich schickte alte Platten, Fotos, Bücher, Plakate. Keine Eingangsbestätigung. Die Nachfrage ergibt: «Herr X ist nicht mehr bei uns.» DAS TEURE MATERIAL IST FUTSCH.
Die noch-Bundesbahn taufte vor Jahr und Tag einen Zug nach Tucholsky. Da man bei mir deswegen anfragen muß, erlaubte ich’s nur unter der Bedingung, daß Plakate an Tucholsky im Zug erinnern; ich ließ wunderbare Foto-Siebdrucke herstellen mit je einem Tucholsky-Text’chen in Deutsch und Schwedisch (von uns die Übersetzung bezahlt, der Zug geht nach Schweden) eingedruckt, fuhr den Zug «Probe» mit 3 Bahndirektoren. Den ZUG gibt’s noch – die Plakate nicht, sind «auf dem Abstellgleis geklaut worden». Auf meinen Protest hin sagt der einzige noch übrige der 3 Direktoren: «Ich sehe das ganz sportlich» – was immer er darunter verstehen mag. Briefe beantwortet der Mann nicht.
Ohne Vorwarnung (jedenfalls nach außen wahrnehmbare) hat der Herr von Holtzbrinck den Chefredakteur Roger de Weck gefeuert, die Alt-Herausgeber Dönhoff & Schmidt nicht mal INFORMIERT, geschweige denn sich mit ihnen beraten – was beide ohne Murren hinnehmen, mit ihren dürren Preußenärschen an ihren Sesseln sich festklammernd, weil’s ja so angenehm, Büro, Sekretärin und Reisespesen ohne Obergrenze zu haben: Die Dönhoff begründet ihre Charakterlosigkeit gar damit, «daß man von innen Schlimmeres verhüten kann» – was eigentlich noch Schlimmeres? Das Lied haben wir doch schon mal gehört?
Die erste Redaktionssitzung, in der das Scherbengericht öffentlich verhandelt wurde, fand letzten Donnerstag statt, überfüllt, es waren ca. 60 Redakteure da. EINER stand auf und sprach zu/über de Weck: EINER. Wer war das wohl? (ALLE anderen saßen auf ihren Zungen.) De Weck fand sich 5 Minuten später in meinem Zimmer, den Tränen nahe. «Das vergesse ich Ihnen nie.»
Nebenpointe: heftiges Kopfnicken nach meiner Intervention; de Weck – «die Redaktion will gewiß noch unter sich sein und diskutieren» – verließ den Raum; darauf verkündete eine Dame, die Sitzung würde nun umfunktioniert in eine Redaktionsvollversammlung, und an der dürften nur festangestellte Redakteure teilnehmen; worauf ich – «Ich habe verstanden» – aufstand und ging; niemand hinderte mich daran.
Gran Hotel Bahia del Duque, Tenerife, den 7. Dezember
Meine «Arbeit» hier (ohne Auftrag): Rilke. Sehr zwiespältiger Eindruck. Vieles gespreizt und seelchenhaft, der verzärtelte Dichter von Fürstinnen und Baronessen (auf deren Schlössern er allzuoft zu Gast), denen fast alle seine Briefe gelten; sehr selten Männern. Dann wieder Großes, auch – 1917/1918 – Erstaunliches, wie er sich einen Moment lang aus seiner ehrlichen Anti-Kriegs-Empörung der Münchner Räte-Revolution zuwendet.
Kampen, den 23. Dezember
Abschied von meiner Sekretärin Ilse Schulze, 24 Jahre bei mir, nicht zu erweichen, mir noch das letzte Jahr zu «opfern»: «Ich will nicht mehr und kann nicht mehr.» So was ist ja eine Art Ehe, wieviel Sonderbares – neben all dem Täglichen, den Kämpfen, Intrigen und Enttäuschungen, auch Triumphen – hat sie «mitgemacht», immer diskret, allenfalls ein «Frau Augstein bittet um dringenden Rückruf» oder «Frau Scheel erinnert an Ihre Verabredung» oder «Frau Henkel läßt ausrichten, daß …»; ganz zu schweigen von den diversen Knaben respektive jungen Männern, die dann doch immer mal «vorlagen», wie der große Zauberer Thomas Mann das nannte.
So knackt alles vernehmbar weg.
Kleines Trauer-Aperçu, ein dünner schwarzer Spitzenschal: ARTE-Abend mit/für Hildegard Knef zu ihrem 75. (früher hätte ich ihr geschrieben – nun, Sekretärin-los, weiß ich nicht, wohin): eine sinister-banale Veranstaltung, die mich dennoch rührte, die alte, betörende Stimme, das einst schöne – jetzt durch 1000 billige «Schönheitsoperationen» verunstaltete Gesicht. Irgendwo muß es Fotos oder 1 Foto geben, wo ich umzirzt von drei blonden Riesinnen reichlich betrunken (auch aus Angst vor denen??) hänge: Jede gönnte mich der
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