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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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‹erholt› (weiß offenbar gar nicht, was das ist und wie das geht), schlecht geschlafen, oft Tabletten, oft Kopfwehtabletten, eben jenes ‹Lebenszittern›, das ich mir nicht nur als Wort von Thomas Mann ausleihe.
    Hotel Sheraton, Boston, den 5. Mai
    Motto: Flucht; oder: «Sie fielen aus Gottes Hand» (ist das der Titel eines Böll-Romans?). Amerika hat mich dieses Mal regelrecht angeekelt, diese verkommenen, übergewichtigen Pappbecher-Gestalten, die halbnackt in Etablissements einfallen, die man Restaurant zu nennen zögert. Das Sheraton (das Updike in seiner Buchwidmung so lobend hervorhebt; vielleicht mich damit rügen wollend, weil ich mich bei ihm entschuldigte, ihm dieses Salesman-Hotel zuzumuten) ein Pöbelbahnhof ohne Service (der sich gar selber nicht mehr wahrnimmt: die gegen den ‹Vertrag› verstoßende vorverlegte Abreise, das Auschecken erst abends: wurde ohne Kommentar gebilligt, ohne ‹Strafzahlung›, wie bei der Buchung noch als Bedingung hervorgehoben). Die Vulgarität – war mein Auge durch die Lektüre von Updikes RABBIT-Romanen geschärft? Ich sah jedenfalls NUR Rabbits, wo immer, ging mir so auf die Nerven, daß ich kurz entschlossen umbuchte und stante pede nach dem Gespräch mit Updike Hotel, Stadt und Land verließ, aufatmend im Lufthansa-Sessel. Dieses Land – «Amerika, du hast es besser» gilt lange nicht mehr – ist bevölkert mit unentwegt irgendetwas schlabbernden, knabbernden Feisten, die sich mit einer Art Schwimmbewegung, statt Schnorchel mit Handy am Ohr, durch die Straßen bewegen, ein nicht enden wollender Strom von Ordinärheit und Häßlichkeit; wohin sind die Zeiten der schnieken GIs, die einst unser – MEIN – Amerika-Bild prägten, der flotten jungen Offiziere in ihren Gabardine-Hosen, beige und olivfarben? Jetzt wälzen auch die sich überdimensioniert wie Botero-Skulpturen in einer Art Strampelanzug durch die Straßen oder fläzen sich in die Plastik-Stühle. Das einzige Erstaunen: daß die nicht zusammenbrechen unter den 200-Kilo-Menschen, aufgeschwemmt von Junk-Food, das sie ohne Unterlaß in sich hineinschwemmen. Der Taxifahrer zum Flugplatz manschte während der kurzen Fahrt in sich hinein: 2 große Tüten Kartoffelchips, 2 dicke Tafeln Schokolade, 2 Büchsen Coca-Cola, das alles schmatzend und schniefend und schwitzend, er füllte beinahe die vorderen beiden Sitze, die durch Unrat zusammengehalten schienen. «Ich möchte Sie bei Ihrer Mahlzeit nicht weiter stören» lag mir auf den Lippen; aber dann hätte ich mit meinem ohnehin sinnlosen Gepäck – ich hätte auch in Unterhosen essen gehen können – im Nowhere gestanden. Das Updike-Gespräch: nett und höflich, wie er stets ist (seine Schuppenflechte rötet sich erst im Laufe so einer Debatte, also bei/nach Anstrengung), präzise sich beobachtend – also Auskunft über sich gebend –, wie er die Welt betrachtet und beschreibt – – – – und dennoch etwas flach, unintellektuell, routiniert. Man merkt, daß er – sehr amerikanisch – das Geschäft der Publicity gleichzeitig verachtet und zu betreiben versteht; so ja auch erstaunlich, daß er – eine Stunde Autofahrt – in die Stadt kommt, um sich mit mir zu treffen, hätte mich ja auch zu sich ‹kommandieren› können, in irgendein Dorfrestaurant. Er ist ein Scheibenschießer, der auf elegante Weise ins Schwarze trifft – – – aber das Schwarze ist in seinem Fall immer NEBEN der Scheibe. Verblüffend dieses ungebrochene Behaglichkeitsgefühl bei so vielen amerikanischen Autoren über dieses ihr Schrott-Land – auf eine entsprechende Bemerkung von mir sagte Updike, dies sei eben ein freies Land, und das sei ja das Wunderbare an Amerika, und hier könne sich eben jeder kleiden und könne jeder essen, wie und was er will. Meinen Einwand, das könnte man eigentlich in Europa auch, SO frei sei ja das tatsächlich gleichfalls, und mir schiene, daß es die Gesellschaft sei, die diese Menschen wie durch eine gigantische Mühle à la Max und Moritz mahle, und heraus kämen dann eben diese in unserem Fall nicht kleingemahlenen, sondern fettgestanzten Menschen: begriff er offenbar nicht. Der Begriff «gesellschaftlich» ist fremd dort; ich hatte ja dieselbe Erfahrung vor 1 Jahr mit/bei Saul Bellow. Kleines Beispiel: Updike bewunderte den Blick – wie ein kleiner amerikanischer Junge mit Wauhh! – aus dem Fenster im 24. Stock – das ist eben Symbol für «oben». Er sah aber NICHT das Hochhaus genau gegenüber, IN das man in diesem Fall

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