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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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orientierungslos. Fast kann einem der Liebe-los gelebt habende Mann (er hatte nie eine Beziehung, immer nur Affären oder Stunden-Stricher) leid tun.
    Sein Sexus war im Kopf.
    PS: Weder bei der Beerdigung – wo unerklärlicherweise ein protestantischer Pastor sprach; war er «heimlich» getauft? – noch bei dem gräßlichen Streuselkuchen-Essen hinterher war ich dabei.
    Freund Schoenberner, gerne zu Schnurren aufgelegt, erzählte mir von der makabren Veranstaltung und erinnerte an den Voltaire zugesprochenen Witz: In seiner letzten Stunde fragt ihn ein katholischer Pfaffe, ob er nicht doch «abschwören» wolle dem Übel, er brauche nichts zu tun, als rasch zu versichern, daß er nie im Solde und/oder im Auftrag des Satan oder satanischer Mächte gestanden habe, dann sei die «letzte» Ölung möglich. Darauf Voltaire: «Ach, Monsignore, dies ist nicht die Stunde, sich weitere Feinde zu machen.»
    9. Juni
    Mörderische Woche, was in diesem Falle fast BUCHSTÄBLICH war. Fernsehen im Hause, um den Video-Film für das Museum zu drehen, der dann/dort in der sogenannten «Sammlung Raddatz» gezeigt werden soll – – – damit das Publikum, das ja die Hinterlassenschaft des TOTEN FJR sieht, auch noch per Bild einen Eindruck vom LEBENDEN FJR erhält. Schon makaber genug.
    Die Tage selber schauerlich, ein ständiges: «Dann hängen wir den Botero ab, den hängen wir dahin, wo der Wunderlich hängt. Und dann hängen wir den Wunderlich ab, den hängen wir dann dahin, wo der Botero hängt.» Das Sofa weg, der Tisch mehr nach links, der FJR «hat einen Schatten links im Gesicht» (was er SAGT, ist vollkommen gleichgültig – aber der Radiergummi muß vom Schreibtisch, der «sieht nicht schön aus») – – – die getürkte Realität, alles verlogen, alles «echt-falsch», weswegen auch die Aufnahmen von Wohnung und Interieur alles schön-lügen, es sieht aus wie bei reichen Leuten. (Was, apropos, manche gar von mir denken mögen: Freund Grass, der ein Statement zum ‹Sammler FJR› gab, schimpfte beim anschließenden Abendessen – wer wohl hat bezahlt? – auf den Museumsdirektor ein, ob der sich klar sei, daß er von mir eine Schenkung in Höhe von 8 Millionen DM erhalten habe; schleierhaft, wie er auf diese Fabelsumme kommt – – – – – – so schätzen mich die Leute ein. Besser, sie denken, ich sei reich als arm – GEBEN tun sie mir eh nix.)
    14. Juni
    Ein sehr berührender Vormittag: Eröffnung bzw. Umtauf-Einweihung einer sich jetzt KURT-TUCHOLSKY-SCHULE nennenden Schule: Ich hatte, entgegen meiner Absage-Gewohnheiten, zugesagt, die sogenannte «Festansprache» zu halten. Aber Tucholsky hätte sich wohl doch gefreut: In ca. 9 oder 12 Sprachen begrüßten «ihn» Schüler, Koreaner und Inder, Neger und Türken, Italiener und Spanier – – – sein Wunsch nach Ende von Rassismus und Rassenschranken und Religionsbarrieren schien wie erfüllt. Tatsächlich glaubt man, wenn man so was sieht/hört: Die werden sich nicht mehr die Köpfe einschlagen. Eine Inderin sang den GRABEN (sogar sehr gut), die Lehrer gaben Sketches, etwa: Kurt Tucholsky haßt-liebt – – – alles locker, sympathisch, nicht schul-zwang-haft (nur eine Senatorin sprach von Konferenzen, Komitees, Bildungsweg und Gremien – zum Einschlafen). Politiker können nicht anders – es ist nicht gedacht und nicht artikuliert. Sie sei «eine Schülerin» von mir, so stellte sich mir die Dame vor, wohl meinend, sie habe dies und das von mir gelesen; woran nur eines zu erkennen ist: wie alt man geworden ist. In der Tat war ich mit Abstand der Älteste – «der Alte ist ja spitze», war ein Schülerkommentar nach meinen paar Sätzen – –.
    16. Juni
    Schämen müßte – nein: muß – ich mich ob der eitlen Ruhmgier, mit der ich an meinem 70. Geburtstag herumbastle, dies plane, jenes verwerfe, das dritte «erwarte» – – – während in Wahrheit alle Welt die Hände hebt und sagt: «O Gott, auch das noch!» Es ist ja ganz deutlich, daß alle diese halbherzigen Versuche – «man müßte doch einen Empfang machen»; «irgendwas sollte doch in Hamburg geschehen» usw. – nur gedrängte Ausflüchte und Notlügen sind. Wenn jemand – z. B. «die Stadt» – wirklich an einer Art Ehrung interessiert gewesen wäre, dann hätte man das 1 Jahr zuvor in Angriff nehmen müssen: um die richtigen Leute einzuladen, ein amüsantes Programm zustande zu bringen, und nicht dieses «Wie erreicht man denn Jürgen Flimm?»-Gehaspele.
    Doch warum mir so sehr

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