Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Willy Brandt mehr interessieren als 5 Seiten getippt von Grass, egal, egal, was der INHALT ist. NICHT interessant übrigens sind dann MEINE Handschriften, immerhin komplette Buch-Manuskripte. Wurde geradezu verächtlich beiseite getan. Mittwoch dann die Dame Raabe vom Arche-Verlag, mit der ich kürzlich aus anderem Grunde einen Mittags-Salat aß, nebenbei meine Erzählung erwähnte: Und siehe da, sie las, war/ist BEGEISTERT, und ich werde diese (meine letzte?) Prosa-Arbeit also in dem Verlag publizieren, in dem Benn nach dem Kriege zu publizieren begann. (Am selben Mittwoch ging mein Benn-Manuskript in die Post zum Verlag; da sage man, das Leben habe keine Pointen …). Donnerstag Abendessen mit der Literaturhaus-Dame und einem netten Anwalt, dessen Funktion dort mir nicht ganz klar: Geburtstag, Geburtstag. Bin, wie alle Schriftsteller, unsicher, was ich will respektive NICHT will (Hochhuth, der seit MONATEN sich grault, daß niemand seinen 70. wahrnehmen könnte, rief TIEF GERÜHRT über meine paar ZEITzeilen an, er habe GEWEINT!!!). Daß nun also diese Stadt ‹aufwacht› und sich meines 70. erinnert, ist ja ganz erfreulich. Aber ERNSTHAFT wäre ich lieber weg, RICHTIG weg – was ich ja Gerd vorgeschlagen hatte, Afrika (meiner Tier-Liebe frönen), denn weder Sylt noch Nizza ist ‹weg›; aber es ging ja nicht, der Herr hat ‹Quartalsschluß›, war geradezu erleichtert, als ich heute morgen sagte, ich werde den Tag alleine in Kampen verbringen, er könne abends dazukommen. Weiß also nicht, was ich will. Man will ‹beachtet› werden – und zugleich in Ruhe gelassen. Weil der Mensch ein logisches Wesen ist. Freitag abend Inge Feltrinelli zum DEUTSCHEN ABENDESSEN mit Räucherfisch, Reh und Harzer Käse. Überraschend freundschaftlich und anteilnehmend, z. B. an meinen Nach-ZEIT-Problemen, knallharte Geschäftsfrau à la «Sei nicht falschfein – du mußt FORDERN.» Schöner lustiger Abend. Zu viel getrunken und geraucht. War alles bißchen viel für einen älteren Herrn, wenn auch im ganzen erfreulich. Kein Grund zum Greinen …
7. April
Die nächste Enttäuschungsreise steht bevor: im Mai nach Boston (wieder dies gräßlich-langweilige Boston!), um Updike zu interviewen; habe mich immer vor der Lektüre seiner Bücher gedrückt, weil schon das ‹Hineinlesen› mir zu zeigen schien, daß das nicht mehr als (allerdings: sehr gut gemachte) Unterhaltungsliteratur ist, amerikanischer Walser, wortgelenk und inhaltsleer. Nun lese ich also preußisch-brav – – – – – und bin ziemlich entgeistert. Wenn ICH SOLCHE Lebenserinnerungen wie der vorlegte – heißah, die Jagd wäre auf: nichtssagend und sogar im Beschreiben der Hautkrankheit banal (angenommen, ich würde ein ganzes Kapitel über meine Vitiligo schreiben …). Das hat alles seinen flotten ‹Plot›, und man langweilt sich nicht – es sei denn, man achtet auf die «Machart». Ein Beispiel, pars pro toto : «… er lächelte in alle Richtungen, doch sein Lächeln landete nirgends – es war wie die Fausthiebe, mit denen ein Boxer sich auf den Kampf vorbereitet. Sein Blick, huldvoll und allgemein gehalten wie der einer byzantinischen Ikone …» Zuerst denkt man: ‹treffliche Bilder›. Dann merkt man: zwei ‹wie›-Vergleiche in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen, also doch stilistisch Stefan Zweig. Das trägt einen so dahin wie plätschernde Wellen; aber es kann halt nur dem gefallen, der plätschernde Wellen mag und nicht die Brandung des Ozeans. Wird eine nettverlogene Begegnung, die ich mir da aufhalse; in Wahrheit ja nur, um mein ‹Deputat› bei der ZEIT zu erfüllen – – – das im Ernst keiner will. Grotesk.
23. April
«Das Leben, sagt der Derwisch, ist eine Reise.» Kleist. Wohl wahr. MEINE Reise im Moment kurvenreich: 14 Tage bei herrlichstem Sonnenwetter in Nizza über Ostern, während es hier stürmte und schneite. Diesmal auch ‹wolkenlos› sonst: positive Reaktion des Benn-Verlegers, enthusiastische Reaktion der Erzählungs-Verlegerin; also: Erleichterung beim kleinen Autor: Man macht ja immer aufs neue Abitur und zittert vorm Rotstift des Lehrers und ob man wohl ‹bestanden› hat – eine der scheußlichen Besonderheiten dieses Schreiber-Berufs. Bei Rückkehr keine Schauer-Post, gar ein Ins-Blatt-Rücken eines dort (ZEIT) lange lagernden Artikels, in sich unwichtig, aber als Nervenberuhigung auch das für mich behaglich. Die ‹Reise› verläuft also in ruhigen Bahnen. Nun das Verrückte: Ich habe mich nicht einen Deut
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