Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
inscenieren» wollte) zurückschickte: weil ich auf Müllers Stasi-Verflechtungen in einem Artikel aufmerksam gemacht hatte. Auch politisch kam nur Quatsch aus seinem Munde: Präsident Bush ist «fabelhaft», die Leute «mögen ihn eben» (meinen Einwand, die «Leute» hätten «Hitler» auch «gemögt», wedelte er mit affektierter Hand beiseite), Schröder sei «genau das, was die Deutschen brauchten», und Blair müsse – es blieb unklar, warum er ihm dieses schwere Schicksal verordnete – «sofort ins Zuchthaus». Wie sagt der Klassiker: «Man muß sie nicht kennen.» Er wirft ja schöne Bühnen-Scenen in die Welt. Dabei soll man’s dann besser belassen.
13. Mai
Vielfach verstörender Tag bei und mit (dem im übrigen sehr freundschaftlichen) Grass, der «nach Erreichen des Zielbands» namens Nobel verändert-weich-teilnehmend-unbelehrend ist. Also: Er hatte angerufen, ich möge früher kommen, er wolle mich zeichnen. Also 16 Uhr in Behlendorf, wo er streng bereits auf dem Parkplatz vorm Haus stand: «Nun los, fangen wir an.» Der Vorgang höchst befremdlich, mit-nehmend in des Wortes doppelter Bedeutung. Zum einen haben wir uns trotz 40jähriger Freundschaft noch nie so lange so genau und schweigend angesehen: Denn es ist nicht so, wie ich dachte (habe ja noch nie «gesessen»), daß wir uns unterhalten, etwas erzählen. Vielmehr ist es (bei ihm) ein totenstill-schweigender Vorgang, der dabei eine geradezu erotische Intensität hat – denn wann und bei welcher Gelegenheit sind schon 2 Menschen schweigend und zugleich körperlich sehr nahe so lange in einem Zimmer beieinander? Hat etwas von Hypnose und zugleich von jenem la petite mort , als den die Franzosen den Orgasmus bezeichnen: Es wird einem etwas «weg-genommen», man gibt etwas von sich preis – – – und der andere, der «Täter», nimmt etwas von einem/an einem wahr, was man selber nicht kennt, WIE man sich selber nicht kennt: Wer schaut schon beim Orgasmus in den Spiegel? Daher wohl auch die Scheu der «Wilden», sich fotografieren zu lassen – sie fürchten, man nähme ihnen die Seele. Davon hat es etwas; egal, wie «ähnlich» dann das Produkt ist. Daher ich mich auch angesichts des Resultats – n’en parlons pas – der beiden Zeichnungen (1 x Profil, 1 x en face ) in die Anekdote flüchtete: Als eine von ihm portraitierte Dame der Gesellschaft offenbar «mit sich» nicht zufrieden war, sagte Liebermann: «Ick habe Ihnen, jnädige Frau, ähnlicher jemalen, als Se sintt.»
21. Mai
Der Tod des großen Lügners: Hans Mayer «hat sich sterben lassen», wie er es ausgedrückt hätte; so die Nachrichten, die mir vom Kranken- bzw. Sterbebett zukommen. «Es ist genug», soll der 94jährige gesagt und einige Tage Nahrung und Flüssigkeit verweigert haben, bis langsam das Bewußtsein, dann das Leben schwand. Heroisch und groß.
Was er beides im Leben nicht war. Insofern ist mein ZEIT-Nachruf ebenso verlogen, die Schlagschatten aussparend, was nicht NUR dem knappen Platz, 80 Zeilen, zu «danken» ist. Nachrufe sind wohl immer ein gut Teil verlogen.
Wie in diesem Fall der «liebe Verblichene» selber – – – ob die «Freundschaft» mit Brecht, die eine lose, wenn auch freundliche Verbindung war («Als Harich mein Thomas-Mann-Buch attackierte, war noch nachts Brecht am Telefon: ‹Was ist da los, kann ich helfen?›» – – – mit Sicherheit erfunden, denn für alles in der Welt hätte Bertolt Brecht eventuell interveniert, aber nicht für ein Thomas-Mann-Buch).
So war der Mann mehr als «listig», wie Brecht sich so gerne titulierte – er hing sein Fähnchen allzugerne und allzuoft nach dem Winde; und der «Windmacher» war er. Hier in Kampen, 1 Jahr vor seinem Weggang aus der DDR, ging er mit mir und Jens spazieren, um uns pathetisch (ich gebe zu, ich war nicht unbeeindruckt) zu erklären, er könne die DDR nicht verlassen, denn das hieße, seine Studenten im Stich zu lassen, das könne er als sich ernst nehmender Pädagoge nicht tun. Doch als wenig später der berüchtigte Artikel «Eine Lehrmeinung zu viel» erscheint – verläßt er das Land. Er ist mit der DDR beleidigt. Es ging allein um ihn, seine verletzte Eitelkeit. Ein Beispiel für sehr viele. Ein anderes, kleineres: Den jungen, unbekannten Peter Handke verspottete er als unbegabten Jungen. Als der Erfolg kam, war Handke auch bei Mayer der Hochbegabte – er hat sich stets in seine Einsamkeit eingesponnen, und nur dort lebte er, sein eigenes Koordinatensystem:
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