Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
doch lächerlichen Armbewegungen nicht lassen, als sei er an eine Volt-Leitung angeschlossen, die man vergessen hat, abzuschalten – die Arme fliegen, der Kopf fliegt in den Nacken, die Haare schwingen Karajan-haft, der Mann zuckt und rappelt und gestikuliert. Es gibt nur keine Musik. Das bin ich – – – der noch immer zu seiner Sekretärin (die er ja nun auch bald nicht mehr haben wird) sagt: «Wenn was ist – ich bin da und da zu erreichen.» Es ist aber nichts, und niemand will ihn erreichen; übrigens im doppelten Sinne des Wortes.
    Dies Tempo (statt Begabung) mag zuzeiten imponierend gewesen sein, sonst wäre ja auch nicht aus mir geworden, was dann doch aus der Nachkriegsratte geworden ist (der/die so lange so tat, als beherrsche sie fließend Englisch und Französisch – bis er TATSÄCHLICH recht gut beide Sprachen beherrschte, immerhin Sartre oder Lévi-Strauss, Arthur Miller oder John Updike interviewen konnte). Eine Art Selbst-Induktion. Und wenn Gerhard Schneider mir jetzt aus Berlin – in einem Nebensatz – ins Gedächtnis zu rufen versucht, die Studenten (als ich weiland nebbich Seminare hochstapelte) seien von mir «begeistert» gewesen (was nicht stimmen KANN, realiter, aber: «The image is the message»), dann entspricht das dem leicht rätselhaften Satz, den mir der ebenso leicht rätselhafte Links jetzt auf die Rückseite eines Fotos mit Marianne Dreifuß kritzelte, das er mir schickte: «Auch sie himmelte Dich an – wie wir alle.» Nun, davon habe ich im Kampf um halbverbotene Bücher oder um meine zwar oberflächlichen, aber dennoch bekämpften Uni-Examina nichts gemerkt. Es war eben jene Pirouette. Die mag bei einem jungen Menschen «blenden». Ein alter Nurejew ist dann doch peinlich.
    28. Juli
    Was gäbe man/gäbe ich für mögliche Traumdeutung. In einer dieser – übrigens leidvoll-schlaflosen – Nächte: eine Reise mit Lenin im Zug durch Rußland, lange Dispute (über was?) mit Lenin. Lenins Angst vor dem/vor einem geschlossenen Abteil. Was heißt das? Und wie kommt Lenin in einen meiner Träume? Sickern da die Anti-Kapitalismus-/Anti-Globalisierungs-Demonstrationen von Genua ein? Wabert da ein diffuses «Recht haben die» in mir, vor allem angesichts der Brutalität der Berlusconifaschistischen Polizei?
    2. Absonderlichkeit: eine Fahrt mit Ruth und dem «Papa» in einer Art Courage-Planwagen entlang von gleichsam in Buden ausgestellten «Angeklagten», unspezifisch, wessen. Halt vor einer dieser Buden, und da sage ich: «Die nicht, das ist Maria Augstein mit ihren Kindern Franziska und Jakob, die sind in Ordnung.»
    Wie nun wieder kommt Maria Augstein in meinen Traum, die ich seit ca. 15 Jahren nicht gesehen, und wie kommen die beiden Kinder hinein, denen ich – ca. 20 Jahre oder mehr ist’s her – törichterweise den «Ersatzvater» spielte (Jakob: «Ich hätte so sehr gerne ein Kofferradio», das schenkte ihm der mittellose Vater nicht zu Weihnachten – also lag’s in meinem Kampener Handschuhfach unter dem Weihnachtsbaum des Knaben, der mich heute nicht mehr grüßen würde). Rätselhaft.
    11. August
    Fortsetzungsroman MEINE FREUNDE, DIE LITERATEN. Anruf von Hochhuth, einfach mitten in einem Satz beginnend (auch gar nicht wissend, ob ICH überhaupt dran bin): «… also, ich wollte nur eben mal sagen …» In diesem Fall: wie exzellent ihm mein Benn-Buch gefällt – er ist übrigens selber ein sehr guter und genauer Benn-Kenner – und wie er «natürlich vergeblich» versucht hat, eine Rezension in der ZEIT anzubieten. BEGONNEN aber hat er das Gespräch, nein: den Monolog, mit: «Ich bin dir sehr dankbar, daß du mich erwähnst.» Als erstes also wurde der Namensindex angesehen, ob unter H auch Hochhuth steht. Dann kam, von geradezu einfältiger, jedenfalls un-eifersüchtiger Freundlichkeit: «Wenn ich so gut schreiben könnte wie du …», eine Kette von Komplimenten über Stil, Wortwahl usw. «Aber was ist Patou, habe in allen Antike-Wörterbüchern nachgesehen, es steht nirgends …» Die un-mondänen deutschen Literaten: Daß es ein Parfum ist, schmiß ihn geradezu um … Der Hochhuth-Sturzbach wiederum läßt einen manchmal besorgt sein, eben noch Benn, dann natürlich Thomas Mann, das ginge ja noch, dann aber der Tod Fontanes, der ja nun wenig mit Benn zusammenhängt, dann der Tod Hugo von Hofmannsthals; am Tage der Beerdigung des Sohnes, der sich in seinem Haus erschossen hatte; beim Greifen nach dem Zylinder: alles typisch Hochhuthsche Skurrilitäten, belesen,

Weitere Kostenlose Bücher