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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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erfrischend und eine Wohltat, verglichen mit dem Cartier-Uhren-Pack auf der Insel.
    Gestern zum Abendessen nach Tirol geflogen, wozu hat Madame Getty diesen Wunderbomber. Einer jener Fabel-Abende – – – der aber, bei Lichte betrachtet, auch ein Monstrositätenkabinett war; Walter Scheel, Gläser auf dem Kopf balancierend, lustig und fidel, als habe es eine Mildred nie gegeben; nun muß er ja nicht in Trauerkleidern umherlaufen und Tränen in den Augen haben. Aber wenn ich denke, wie noch heute in mir der Haken, der Kloß wegen Bernd sitzt, 15 Jahre ist er tot, und als ich dieser Tage seine Schrift in einem Buch las, einen alten Zettel an mich, traf’s mich wie ein Schlag: Und dieser Mann zeigt mit keiner noch so kleinen Geste, daß er seine Frau verloren hat.
    Enzensberger nett und wendig wie immer, aber diese Frau, die ewig seufzt: «Magnus ist so lieb und anhänglich», als spräche sie von einem Dackel …
    Mr. Getty, der Mann mit den Trillionen Dollar, ein grobschlächtiger lauter Ami wie aus Texas, könnte ein Russe sein, in schlecht sitzendem Anzug, Riesengürtelschnalle und pflegeleichtem Hemde, fing allen Ernstes an zu singen: Niemand würde den Mann 1 Sekunde beachten, schiene nicht hinter ihm wie bei einer Ikone das Gold.
    George Weidenfeld, der Haus- und Hofmeister der Gettys inzwischen, kann keine 3 Minuten etwas Zusammenhängendes reden, lädt einen zum Frühjahr «zu unserer großen Tagung» nach Washington ein – aber kein Mensch, vielleicht auch er selber nicht, weiß, wozu, was da los, welches Thema usw.
    Der Pleite-Molden mit seiner ordinären Frau, die beide schrien: «Wir suchen einen Thomas Mann, nur der könnte unsere Gastgeberin beschreiben» – auch ein bißchen übertrieben, und ein müde wirkender, alt gewordener Ivan Nagel: Haben wir uns alle überlebt?
    Kampen, den 27. August
    Triumph-Kakel-Anruf von Hans Mayer, der – wie stets – NUR von Erfolgen, abgeschlossenen Büchern, Vorträgen und Lesereisen berichtet, geradezu unwillig hörte, daß Rowohlt meine alten Bücher zu einer Taschenbuchedition zusammenfaßt und eifersüchtig fragte, wieso denn Günther Anders schon den Titel des neuen Buches, an dem ich arbeite, wüßte. War erst beruhigt, als ich ihm erklärte, Anders’ Wort «Nun müssen Sie ein ‹Walfischauge› schreiben» war ein Witzwort.
    Das Sonderbarste: Wie ein Schüler, der mit Eins versetzt wird, berichtete er stolzgeschwellt: «Es tun sich große Dinge in Sachen Hans Mayer – aber ich kann sie noch nicht erzählen.» Als ich auch nicht nachfragte, kam: «Also – wenn Sie wirklich nicht tratschen, erzähl ich’s Ihnen.» Er BRANNTE drauf – – – er ist von der Ostberliner Akademie eingeladen worden. Und hat angenommen. Wekwerth hat ihn eingeladen, Hermlin wird ihn einleiten (und sein besonderer Freund Jens, nun ja korrespondierendes Mitglied dort, wird dann wohl im Publikum sitzen?).
    Die Sucht, anerkannt zu werden, führt den Mann seltsame Bahnen. Im Grunde ist’s ihm egal, ob’s der Nationalpreis der DDR ist oder der Literaturpreis der Stadt Köln, ein Vortrag bei Dohnanyi oder einer in Dresden – «Hauptsache gedruckt». Es muß schöner sein als ein Koitus. Mayer sagt allen Ernstes, sozusagen in aller Harmlosigkeit: «Das ist die Belohnung für ‹Ein Deutscher auf Widerruf›»; will sagen, für sein «Wohlverhalten» in den Memoiren. «Wir sind eben nicht Kantorowicz.» Wobei zu überlegen wäre, ob der nicht in seiner Art Selbstverbrennung der Integerere war, nicht «schlau», nicht es sich richtend, eher sich versehrend. Mayer hat sich in Wahrheit nie politisch geäußert, zu keinem Terroristen, zu keiner Verhaftung in der DDR, nicht zu Biermann oder Havemann oder wem – allenfalls zu Gedichten. Das nimmt man nie übel. Eine Glätte, die ihn so jung und unversehrt erhalten hat, ohne Schründe und Kratzer. Sein Weggang aus der DDR war eher eine persönliche Gekränktheit über jenen Satz in einer Leipziger Zeitung «eine Lehrmeinung zuviel» als ein wirklich politischer Akt; hätte sich jemand Hochgestelltes damals bei ihm, möglichst öffentlich, entschuldigt – er hätte 1000 Gründe gewußt, zu bleiben. Wie er ja paar Jahre vor seinem Weggang hier, ausgerechnet hier in Kampen, mit mir am Meer spazieren ging (übrigens gemeinsam mit Jens …) und haargenau begründete, warum er eben NICHT die DDR verlassen werde. Eine verkommene Dialektik – mehr Rabulistik. Würde man ihm die Präsidentschaft der Ostakademie anbieten – ich glaube, er

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