Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
und Hemingway-Lektüre für eine Funksendung über den Spanienkrieg – – – so was geht eben nicht. Es überstrudelt meine Phantasie.
26. Mai
Abends beim ganz erloschenen Grass, wirkt wie eine zusammengeschossene, ehemals stolze Fregatte. Hat wohl nicht für möglich gehalten, daß ihm auf seine Weise dasselbe wie mir in der sogenannten literarischen Öffentlichkeit passieren kann. Die FAZ-Kritik, dieser beißwütige Mörderüberfall eines Literaturstalinisten, hat ihm den Rest gegeben. Wobei, typisch für den Narziß Grass, er kaum ertrug, wenn ich seine «Affäre» der Totalverrisse voller Häme mit den Gemetzelschlachten gegen mich verglich. Wie um sich an einen Rettungsring zu klammern, las er seine – gute – Rede für den PENKongreß vor.
Wie wir alle in solchen Situationen spricht er von Wegziehen ins Ausland, «in Portugal geht’s mir gut», davon, daß er sich auf das Jahr in Kalkutta freut (in meinen Augen eine ganz sinnlose Reise, was ich ihm auch immer wieder sage). Der Abend endete traurig – auch noch mit einer (berechtigten) Abmahnung: Ich hätte in meiner Rede auf ihn bei seinem Geburtstag davon gesprochen (woran ich mich garnicht erinnern kann), er habe Ute «verraten» – und das sei doch ein schlimmes und ungerechtfertigtes Wort. In der Tat: Wenn’s sogar berechtigt wäre, so wäre es aber unangemessen für MICH, davon zu sprechen. Wenn ich doch nur lernte, die Klagen anderer Menschen über ihren jeweiligen Partner zwar anzuhören, aber nicht zu kommentieren.
25. Juni
Unterbrochenes Tagebuch. 14 Tage Paris und die anschließenden 3 Wochen Amerika auf Faulkners Spuren durch den Süden der USA sind notiert im handschriftlichen Extra-Tagebuch. Turbulente Rückkehr, weil internationaler PENkongreß. Bin der einzige, der für die (einige) Autoren einen Empfang heute abend gibt – weder die Stadt noch der Kultursenat noch die Hamburger Verlage oder Zeitungsverlage reichen den durch die Stadt irrenden Autoren auch nur ein Leberwurstbrot. Und hier werden schon den ganzen Tag die Pasteten gerührt und die Mousse au chocolat gekocht für Susan Sontag und Alberto Moravia und Nathalie Sarraute und Heiner Müller.
Am schlimmsten aber, was Inge Feltrinelli über das neugezimmerte Getty-Weidenfeld-Verlagsempire erzählte: Barney Rossett, der ja seinen kleinen, aber feinen Grove-Press an die Dame Getty verkauft hat, prozessiert mit der Dollar-Dame bereits, weil sie alle «nicht-lukrativen» Verlagsverträge cancelt. Jemand, der pro TAG 5 Millionen Dollar zu verbrauchen hat und sich gerade eine Riesen-Boeing als private Maschine einrichten läßt, hat Angst, ein paar tausend Dollar an immerhin Beckett oder so zu verlieren. Was für eine erbärmliche Welt – Hans-Jürgen Heinrichs, heute früh bei mir zum Frühstück, erzählte mir seinen ähnlich vergeblichen Kampf – mit Bettelbriefen an Reemtsma oder Bucerius, vergeblich – um Zuschuß für seine Max-Raphael-Ausgabe. Da setzt sich ein mittelloser Intellektueller monatelang auf eine Insel, um eine Edition (und Dechiffrierarbeit) zu leisten – – – und Leute, für die 50.000 Mark kein Geld sind, lassen ihn in der Haltung des Bittstellers allein – paßt zum Nicht-Empfang der Schriftsteller-Gäste in Hamburg. Das Geschenk der Stadt Hamburg, hätte ich’s hier nicht stehen, so würde ich’s selber nicht glauben, ist eine Flasche mit ’nem Schiff drin!
27. Juni
Meine Mittwoch-PEN-Party war ein wunderbarer Erfolg, weil sich auch alle deutlich sehr wohl gefühlt hatten. Stefan Heym sagte, es sei sein schönstes Fest seit 20 Jahren gewesen, viele andere sagten, dies sei das einzig «Memorable» des ganzen Kongresses, und Susan Sontag war «overwhelmed by your apartment».
Einen schlimmen Eindruck machte Hermlin, über den ja schon Brecht gesagt haben soll, «außen Marmor und innen Gips». Nun NUR noch Gips – – – wächsern, sein Gesicht nie verziehend, als habe er Angst, es platze nach einem face-lifting , kaum sprechend, sich wie sein eignes Denkmal bewegend. Offenbar hat er auch auf dem Kongreß (den ich nicht besucht habe, ich habe ihn mir ja quasi ins Haus geholt) entsprechend gesprochen.
Was das einzige «inhaltliche» Gespräch morgens früh um 4 auslöste – nämlich Stalinismus und die Feigheit selbst berühmter Autoren wie Anna Seghers und Brecht angesichts offensichtlichen Unrechts, das zu attackieren sie nichts gekostet hätte; denn einen Brecht und eine Seghers hätte Ulbricht nicht gewagt einzusperren oder anderswie zu
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